Naturhistorisches Museum Wien und die Evolution

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Naturhistorisches Museum Wien und die Evolution
Foto: © NHM Wien, A. Schumacher
22 Feb 20:00 2021 von OTS Print This Article

Vor genau 150 Jahren, am 24. Februar 1871, erschien „Die Abstammung des Menschen“ von Charles Darwin

Wien (OTS) - Das Naturhistorische Museum Wien macht zu diesem Anlass auf enge Bezüge seines Gründungsintendanten Ferdinand von Hochstetter (1829–1884) und der revolutionären Theorie von Charles Darwin (1809–1882) aufmerksam und möchte bei der zukünftigen Neugestaltung der Schausäle die verschiedenen evolutiven und co-evolutiven Prozesse noch deutlicher sichtbar machen. In Zukunft sollen die Mechanismen der Evolution im Museum noch mehr erleb- und erlernbar werden: die – genetische – Variabilität als Voraussetzung für Diversität und Evolution sowie Selektionsfaktoren, die auf heutige Verteilung von Arten wirken und diese auch zukünftig beeinflussen. Dabei spielen nicht nur Klima und Tektonik eine Rolle, sondern auch beispielsweise kompetitives oder kooperatives Verhalten oder die Co-Evolution mit Krankheiten und Parasiten.

Am 24. Februar 2021 feiert Charles Darwins berühmtes Werk: „Die Abstammung des Menschen“ (engl. The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex) seinen 150. Geburtstag. Ähnlich wie „Über die Entstehung der Arten“ (engl. On the Origin of Species) (1859) traf dieses Werk Darwins den Nerv seiner Zeit und löste eine breite öffentliche Diskussion aus. Dabei war die unmittelbare Reaktion weit weniger feindselig, als Darwin befürchtet hatte. Er führte dies auf eine zunehmende Liberalisierung in England zurück. Als jedoch in der Folge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 in Paris ein Bürgerkrieg ausbrach und eine (sozialistische!) Kommune gebildet wurde, war das britische Establishment, das biologische Evolutionsgedanken von jeher mit gesellschaftlicher und politischer Revolution in Verbindung gebracht hatte, alarmiert.

Innerhalb von nur drei Tagen war die gesamte erste Auflage (2.500 Stück) verkauft und musste nachgedruckt werden. In der englischen Zeitschrift The Edinburgh Review hieß es dazu: „Seit der Veröffentlichung von Die Entstehung der Arten hat kein wissenschaftliches Buch mehr Aufmerksamkeit hervorgerufen als Mr. Darwins neue Arbeit über die Abstammung des Menschen. Im Salon konkurriert es mit dem neuesten Roman und im Studierzimmer beunruhigt es gleicherweise Wissenschaftler, Ethiker und Theologen. Überall ruft es einen Sturm, gemischt aus Zorn, Erstaunen und Bewunderung, hervor.“

Noch im selben Jahr (1871) lag eine deutsche Übersetzung des Leipziger Zoologen Victor Carus (1823-1903) vor.

Charles Darwins Abstammung des Menschen & das Naturhistorische Museum

Wie Darwins Theorie wurde von religiösen Kreisen zum Teil stark bekämpft. Nicht nur im katholisch geprägten Kaiserreich Österreich war es für Wissenschaftler*innen daher durchaus problematisch, sich öffentlich zu Darwins Theorie zu bekennen.

Umso erstaunlicher ist es, dass es dem Geologen und Forschungsreisenden Ferdinand von Hochstetter (1829–1884), einem Darwin-Anhänger der ersten Stunde, gelang, das Vertrauen des österreichischen Kaiserhauses zu erlangen: 1872 wurde er zum naturwissenschaftlichen Lehrer des Kronprinzen Rudolf und 1876 zum Intendanten des gerade in Bau befindlichen Naturhistorischen Museums ernannt.

Hochstetter war bereits 1861 öffentlich für den Darwinismus eingetreten und hatte sich damit nicht überall beliebt gemacht. Umso glücklicher war man in liberalen Kreisen daher mit Hochstetters Ernennung zum Lehrer des Kronprinzen. In einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1872 hieß es: „In höheren Gesellschaftsschichten aber herrscht gegen die Naturwissenschaft ein entschiedenes Vorurtheil. Man behauptet von ihr, dass sie den menschlichen Geist den Geboten des Glaubens abwendig mache ….“ und weiter: „Und wir freuen uns aufrichtig dessen, dass gerade Professor Hochstetter berufen worden, den Kronprinzen in das Studium der Naturwissenschaften einzuführen. Hochstetter ist nicht bloss ein Mann von bedeutendem Rufe, er ist nicht bloss ausgezeichnet auf einem Gebiete der weltumfassenden Wissenschaft, was ihm besonders eigen ist und was ihn speziell für die ihm übertragene Aufgabe befähigt, das ist sein weiter, sein großer Blick, der aus den Besonderheiten rasch das Allgemeine herausgreift.“

Hochstetters umfassender Blick auf die Natur und ihre Gesetze war es offenbar auch, der ihn vier Jahre später für die Einrichtung des Museums qualifizieren sollte. Er schlug eine radikale Neuorganisation der Sammlungen vor. Durch die Eingliederung der anthropologischen, prähistorischen und damals auch ethnographischen Sammlungen schuf Hochstetter das erste konsequente Evolutionsmuseum Europas. - Weder in London noch in Berlin, wo ebenfalls zur selben Zeit neue Museen für Naturgeschichte errichtet wurden, war damals etwas Derartiges möglich.

Hochstetter schrieb 5 Jahre vor der Eröffnung des Museums:

„Das Wiener naturhistorische Hofmuseum wird demnach das einzige von den analogen grossen naturhistorischen Museen in Europa sein, welches die Sammlungen sämmtlicher naturhistorischer Disciplinen, auch den Menschen und seine Urgeschichte mit inbegriffen, unter einem Dache vereinigt. … Das grosse neue naturhistorische Museum von Kensington in London umfasst bekanntlich nur mineralogische, geologische, paläontologische, botanische und zoologische Sammlungen; die prähistorischen und ethnographischen Sammlungen sind davon ausgeschlossen; und in Berlin, wo ein neues naturhistorisches Museum geplant ist, hat man für die ethnographischen und prähistorischen Sammlungen ein eigenes Gebäude errichtet, welches eben seiner Vollendung entgegengeht.“

Die Englische Zeitschrift „Nature“ schrieb ebenfalls bereits 1877: „When it is completed, the Museum at Vienna will present a more perfect and complete history of the knowledge of the earth and its inhabitants than has yet been presented.“ ("Wenn es vollendet ist, wird das Museum in Wien eine vollkommenere und vollständigere Geschichte des Wissens von der Erde und ihren Bewohnern präsentieren, als bisher dargestellt worden ist.")

Die Eingliederung des Menschen entsprach Hochstetters Absicht, Darwins Evolutionstheorie zum Leitgedanken des Museums zu machen. Dies manifestiert sich jedoch nicht nur in der sammlungs-mäßigen Eingliederung des Menschen, sondern vor allem im dekorativen Programm des Museums.

Drei Werke sind dabei von zentraler Bedeutung:

1. Das Deckengemälde „Der Kreislauf des Lebens“: Das Gemälde von Hans Canon (1885) im Stiegenhaus des Museums macht den Menschen zum Hauptthema. In einer kreisförmigen Komposition vollzieht sich der Kreislauf des Werdens und Vergehens – der Kampf ums Dasein. 2. Der Darwin-Fries: Im Sprengring der Kuppel findet sich ein von dem österreichischen Bildhauer Johannes Benk geschaffener Fries mit Tier- und Menschengestalten, dessen Grundthema das Verhältnis Tier-Mensch mit Jagen und Gejagt-Werden sowie Haus- und Nutztierhaltung ist. Eine Szene setzt sich ganz direkt mit Darwins Werk „Die Abstammung des Menschen“ auseinander: Ein Affe hält grinsend einen Spiegel, und ein Knabe erkennt beschämt seine Ähnlichkeit mit dem Affen. Ein weiterer Affe daneben hält ein offenes Buch, auf welchem die Worte „Darwin, Abstammung des Menschen“ eingraviert sind. Um der Szene ihre Schärfe zu nehmen, bedient sich Johannes Benk des Mittels des Humors. Die Szene zwischen Affen und Mensch wird mit einem gewissen Augenzwinkern erzählt. Dennoch ist die Aussage unmissverständlich und ein Schlüsselelement im Verständnis des Evolutionsmuseums. 3. Darwin an der Fassade: Das Naturhistorische Museum war 1881 im Außenbereich fertiggestellt. Die Fassade zieren Porträtköpfe berühmter Wissenschaftler. Charles Darwin (1809-1882) ist der Einzige, der hier bereits zu Lebzeiten verewigt wurde. Sein Porträt ist das letzte auf der Ringstraße (über dem Fenster im 2. Stock):

Charles Darwins dunkle Seite

Zurecht wird oft darauf hingewiesen, dass Charles Darwin ein entschiedener Gegner der Sklaverei war; dass er entsetzt war, als er herausfand, dass einige seiner Kollegen und Freunde Befürworter derselben waren; und dass er generell Gewalt gegenüber indigenen Bevölkerungen, wie er sie auf seiner Weltreise erlebt hatte, verabscheute. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Darwin trotz seiner zeitlosen wissenschaftlichen Größe und Bedeutung ein Kind seiner Zeit war, und zwar eines aus der privilegierten englischen Oberschicht. Seine Einsichten in die Evolution, die natürliche Selektion und den „Kampf ums Dasein“, die nicht zufällig Ähnlichkeiten mit dem Wirtschaftsliberalismus in Großbritannien hatten, bestärkten ihn nur in einer Sichtweise, die man heute eindeutig als rassistisch und sexistisch kritisieren muss. Darwin war überzeugt, dass es intellektuelle und moralische Unterschiede zwischen den „Menschenrassen“ gab, und wenig überraschend waren es die Europäer (und natürlich insbesondere die Engländer), die den bisherigen Gipfel der menschlichen Evolution darstellten. Er sprach ganz selbstverständlich von „den Wilden“ („savages“), wenn er indigene Bevölkerungen meinte, und klammerte a priori intellektuelle, moralische und soziale Fähigkeiten von seiner ansonsten oftmals recht neutralen vergleichenden Betrachtung menschlicher Populationen aus. Ähnlich biologistisch (avant la lettre) versuchte er auch eine Hierarchie der Geschlechter zu begründen, in der der Mann ganz selbstverständlich der Frau an Intellekt und Kreativität überlegen war und in der die bei Frauen angeblich besonders ausgeprägten Stärken wie Selbstlosigkeit, Sanftmut oder Intuition entweder ihren mütterlichen Instinkten oder aber dem Umstand geschuldet waren, dass Frauen in Bezug auf diese Merkmale dem evolutiv primitiveren Zustand „niederer Rassen“ noch näher standen als Männer.

Mehr Infos zum Thema:

Jovanovic-Kruspel. S. (2018): Das Wiener Naturhistorische Museum und die Rezeption von Darwin(ismus) aus kunsthistorischer Perspektive. In: Matis, H.; Reiter, W. L. (Hrsg.): Darwin in Zentraleuropa. Die wissenschaftliche, weltanschauliche und populäre Rezeption im 19. und frühen 20. Jahrhundert; Wien, 2018, S. 425-448.

Jovanovic-Kruspel, S. (Text) & Schumacher, A. (Bilder) (2014): Das Naturhistorische Museum. Baugeschichte, Konzeption & Architektur. Wien



Quelle: OTS



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