Bezirksmuseen Reloaded: Von der Gebäranstalt ins Findelhaus

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Bezirksmuseen Reloaded: Von der Gebäranstalt ins Findelhaus
Foto: Bezirksmuseum Josefstadt
05 Mai 11:00 2021 von OTS Print This Article

Eröffnung der Sonderausstellung über die eindrucksvolle Geschichte der Institutionen für in Not geratene Mütter im Bezirksmuseum Josefstadt

Wien (OTS) - Die neue Ausstellung „»Vor Schand und Noth gerettet«?! Findelhaus, Gebäranstalt und die Matriken der Alser Vorstadt“ ist nach den „Kunstinterventionen im Tröpferlbad“, die seit März 2021 im Bezirksmuseum Wieden gezeigt werden, ein weiteres Projekt im Rahmen von Bezirksmuseen Reloaded. Sie zeigt die eindrucksvolle Geschichte ehemaliger sozialer Einrichtungen im heutigen 8. und 9. Bezirk aus dem Blickwinkel der Geschlechter-, Sozial- und Medizingeschichte, mit Exponaten aus über 20 Institutionen.

Die digitale Eröffnung findet am 6. Mai um 18 Uhr mit einer Führung durch die Ausstellung sowie Beiträgen u.a. von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Bezirksvorsteher Martin Fabisch auf dem YouTube-Kanal der Wiener Bezirksmuseen statt. Anschließend ist die Ausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt zu sehen.

"Das Bezirksmuseum Josefstadt gibt mit dieser Ausstellung die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu blicken und sich in die Schicksale von Frauen in Not hineinzuversetzen. Sie führt uns unterschiedliche Biographien vor Augen, die eines gemeinsam haben – sie waren von Armut, Bevormundung und Unterdrückung geprägt. Obwohl sich seither die Situation der Frauen wesentlich verbessert hat, dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern müssen weiter Frauenrechte stärken und ausbauen“, erklärt Stadträtin Veronica Kaup-Hasler.

In der Gründungsschrift des Allgemeinen Krankenhauses unter Josef II. aus dem Jahr 1784 heißt es über das Gebärhaus: „Die öffentliche Vorsorge bietet durch dieses Haus geschwächten Personen einen allgemeinen Zufluchtsort an / und nimmt, da sie die Mutter vor der Schand und Noth gerettet, zugleich das unschuldige Geschöpf in Schutz, dem diese das Leben geben soll.“ Die neue Sonderausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt setzt sich mit der Lebenssituation jener Frauen auseinander, die ungewollt Mutter wurden oder keine Möglichkeit hatten, ihr Kind selbst großzuziehen.

„Mit »Vor Schand und Noth gerettet«?! setzt das Bezirksmuseum Josefstadt die Reihe der Ausstellungen über historische und gegenwärtige Institutionen der Josefstadt fort. Neu ist die wunderbare Unterstützung von Anna Jungmayr von der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum“, so Maria Ettl, Leiterin des Bezirksmuseums Josefstadt.

Vor allem arme, ledige und oft auch zugewanderte Frauen nutzten die Institution des Gebärhauses, um dort ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Sie waren durch ökonomische Zwänge und ein restriktives Eherecht in ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt, verlässliche Verhütungsmittel gab es damals keine, Schwangerschaftsabbrüche standen unter Todesstrafe. Der Staat hatte bevölkerungspolitisches Interesse an neuen Arbeitskräften und Soldaten.

„Aus einer frauen*- und geschlechtsgeschichtlichen Perspektive ziehen wir die Institutionen Wiener Gebärhaus und Wiener Findelhaus als historische Beispiele für den Umgang mit ungewollter Schwangerschaft heran. Dabei ist uns die Frage danach, welche und wessen Interessen dabei Relevanz hatten, sowie eine sensible Auseinandersetzung mit Frauen*biografien wichtig“, unterstreicht Kuratorin Anna Jungmayr.

Als „Unterrichtsmaterial“ der ausschließlich männlichen Studenten trugen mittellose Frauen im Gebärhaus zu wesentlichen medizinischen Errungenschaften bei. Operationstechniken wurden weiterentwickelt und der Chirurg und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis fand Erklärungen für das Kindbettfieber - dadurch erkannte er die Relevanz von Desinfektion.

Das Gebärhaus stand in enger Verbindung mit dem Wiener Findelhaus, das ebenfalls 1784 gegründet wurde und sich ab 1788 in der Alserstraße 23 befand. Fast alle Kinder, die im Gebärhaus auf die Welt kamen, wurden anschließend ins nahe gelegene Findelhaus gebracht. Zwischen 1784 und 1910 nahm diese Institution rund 750.000 Kinder auf und vermittelte sie in weiterer Folge an Pflegeplätze aufs Land, wo sie häufig ein von Diskriminierung und harter Arbeit geprägtes Leben erwartete.

„In manchen Jahren des 19. Jahrhunderts ging ein Drittel der in Wien geborenen Kinder diesen Weg: von einer ledigen Frau zur Welt gebracht, im Wiener Findelhaus abgegeben. Viele Menschen stoßen noch heute oft auf ein solches 'Kind ohne Familie' in ihrem Stammbaum“, beschreibt Verena Pawlowsky, Historikerin und wissenschaftliche Beraterin der Ausstellung, die gesellschaftlichen Dimensionen.

1910 endete das Findelwesen mit der Umwandlung und Übersiedlung ins Landes-Zentralkinderheim Gersthof. Der Grundstein für eine neue staatliche Kinder- und Jugendfürsorge war jedoch gelegt.

Die im Gebärhaus geborenen Kinder wurden in der Pfarre Alser Vorstadt getauft, bevor sie ins Findelhaus gebracht wurden. Die Taufen wurden in Taufbüchern protokolliert, die auch die Funktion von Geburtenbüchern erfüllten. 2015 wurden die Matriken der Pfarre Alser Vorstadt online zugänglich gemacht. In der Ausstellung haben Besucher*innen die Möglichkeit, ihre eigene Familiengeschichte zu erforschen.

100 Exponate aus über 20 Institutionen

In der Ausstellung werden rund 100 historische Objekte, dreidimensionale Grafiken und Reproduktionen aus über 20 wissenschaftlichen Institutionen, wie etwa den Josephinum-Sammlungen der Medizinischen Universität Wien, dem Niederösterreichischen Landesarchiv, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und dem Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, gezeigt. Für eine Audio-Station interpretierten die Musiker*innen Martin Spengler und Manuela Diem historische Wiener „Findelkind-Lieder“ neu. Ein vielschichtiges Rahmenprogramm begleitet die Laufzeit der Sonderausstellung (stets aktuell nach den jeweiligen Corona-Regelungen unter www.bezirksmuseum.at ).

»Vor Schand und Noth gerettet«?! Findelhaus, Gebäranstalt und die Matriken der Alser Vorstadt

Digitale Eröffnung: 6. Mai, 18 Uhr auf dem YouTube-Kanal der Wiener Bezirksmuseen

Laufzeit: 6. Mai 2021 bis 30. März 2022

Ort: Bezirksmuseum Josefstadt, Schmidgasse 18, 1080 Wien

Öffnungszeiten: Mittwoch 18 - 20 Uhr, Sonntag 10 - 12 Uhr, geschlossen während Schulferien und an Feiertagen, Sonderöffnungen können gerne per E-Mail an [email protected] vereinbart werden

Hier geht es zum Rahmenprogramm der Ausstellung.



Quelle: OTS



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