Regionews-Kaleidoskop: „Gute Unterhaltung!“

10 Apr 00:27 2012 von Oswald Schwarzl Print This Article

Eine gesellschaftskritische Betrachtung

Schnell wünscht man das jemanden, der auf dem Weg in eine Veranstaltung ist oder dem man ein Buch zu diesem Zweck geschenkt hat. Aber die beste Unterhaltung ist meist die, an der man selbst etwas dazu beitragen kann in einer geselligen Runde. Als passiver Konsument von Unterhaltung hat man es aber leichter, die Bemühungen der professionellen Unterhalter zu kritisieren.

 

Ob die Bewertung der passiv aufgenommenen Unterhaltung mehr oder weniger gut ausfällt, hängt davon ab, ob das Ereignis – sei es ein Buch, Theater oder Fernsehshow - im Betrachter ein positives Echo ausgelöst hat. Dabei sehe ich auch keinen Unterschied zwischen Sachbuch und so genannter Unterhaltungslektüre, denn ein gut geschriebenes Sachbuch kann denselben Effekt auslösen, wenn man das Interesse dafür mitbringt. Was nun als gute Unterhaltung gilt und einem breiten Publikum gefällt, ist eine Frage der Zeit und des Geschmacks. Und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten; das wussten schon die alten Römer mit ihrem „De gustibus non est disputandum.“

 

So kann es also große Unterschiede in der Beurteilung nicht nur in den Zeitperioden geben, sondern auch zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Eigentlich müsste diese Entscheidung jeder für sich alleine treffen. Nun gibt es aber gesellschaftliche Hierarchien, in welchen selbstbewusste Kreise glauben, sich das Recht nehmen zu können, die alleinige Wahrheit über gute oder schlechte Unterhaltung zu besitzen, nach der sich die Masse zu richten habe. Da damit auch der materielle Erfolg des die Unterhaltung Produzierenden verbunden ist, wird Manipulation des Konsumenten groß geschrieben. Die Medien machen die „Öffentliche Meinung“ und damit den Geschäftserfolg. Wie in allen geschäftlichen Trends sind die USA die Vorreiter und Vorbilder der Geschäftemacher und sie sind bei der Menge der dort produzierten Filme und Bücher wohl auch nicht zu umgehen.

 

Um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, werden latent vorhandene menschliche Instinkte angesprochen. Eine geschickte Marketingstrategie ist es, den Leuten zu suggerieren, mit Zustimmung zur propagierten Richtung weist man sich als einer sozial höheren Gesellschaftsschicht nahe stehend aus. Viele wagen dann nicht, eine abweichende Meinung gegen einen propagierten Trend zu äußern, um der Gefahr einer vermeintlichen persönlichen Abwertung durch andere zu entgehen.

 

Anzumerken wäre hier, dass Gesellschaftsschicht nicht mit Bildungsschicht gleichzusetzen ist. Die Gesellschaftsschicht geht nach dem materiellen Wohlstand, die Bildungsschicht nach dem Wissen. Nun mag es zwar generell eine positive Korrelation zwischen Wohlstand und Bildung wegen des erleichterten Zugangs zur Bildung geben, doch scheinen gerade die Trendsetter der Seitenblicke-Gesellschaft mehr von Machtgier, Eitelkeit und Angeberei denn von Bildung gekennzeichnet. Wird die Strategie des gezielten Appells an unbewusste Gefühle als Treibmittel für kommerzielle Botschaften zu deutlich, gilt wohl: „Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt“ (Zitat v. Goethe aus „Torquato Tasso“).

 

„Sex and crime“ waren schon immer eine solche Marketing-masche. Später ist man dazu übergegangen, andere Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen. Von beiden Gags scheint die ganze amerikanische Filmindustrie fast ausschließlich zu leben. In Situationskomik, Slapsticks und ähnlichen Szenen wird dann dem Zuseher durch unterlegte Lachkonserven auch gleich noch vorgeschrieben, wenn er etwas als lustig zu finden hat. Von US-Formaten angeregt, läuft auch bei uns vieles in dieser Richtung: „Mit versteckter Kamera“, das Dschungelcamp mit den Insekten fressenden Halbpromis, die ausgeflippten Vorsänger bei Dieter Bohlen, Bauer sucht Frau und andere Sendungen auf Partnersuche, die auf den Unterhaltungswert von Lächerlichkeit getrimmt sind und viele andere.

 

Selbst die scheinbar Wissen vermittelnden „Millionenshow“ und „Wer wird Millionär“ zielen in Wirklichkeit auf primitive Instinkte: Entweder um der Eitelkeit des Zusehers zu schmeicheln, mehr zu wissen als der Kandidat oder Verachtung für seine Unwissenheit, wobei Günter Jauch dies oft recht menschenverachtend zelebriert und Armin Assinger, wohl auftragsgemäß, die Unsicheren noch gelegentlich zusätzlich verunsichert, denn deren offensichtliche Qual schafft Quote. Auch die „Dancing Stars“ hätten keine Würze, würden sich dort nicht publicitygeile Menschen lächerlich machen, denn um die sportliche Leistung geht es doch wohl zuletzt. Diese Art von Unterhaltung konnte natürlich nicht ohne Auswirkung auf die Literatur bleiben.

 

Ein „Glanzstück“ in dieser Richtung ist das hochgejubelte Buch „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann, Verlag Rowohlt 2006, 302 Seiten. Damit wollen wir uns etwas näher befassen. Zweifellos ist es heute am Büchermarkt eine schwierige Aufgabe, zu reüssieren. Kommt man in eine große Buchhandlung wie z.B. Thalia in Linz, fühlt man sich erschlagen von den tausenden Titeln die hier Käufer suchen. Perfekte Schreiberei im Stil der Zeit reicht nicht. Da geht ein Autor und sein Verlag einfach in der Masse unter. Um trotzdem Aufmerksamkeit zu erregen, wird also das Ungewöhnliche gesucht. Einen solchen Weg fand nun der bis dahin erfolglose Schriftsteller Kehlmann, Jahrgang 1975, in dem er daran ging, zwei verdienstvolle und allgemein bekannte Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts als eigentliche Volltrottel darzustellen. Es sind dies der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) und der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß (1777-1855).

 

Um auch in der Form aufzufallen, schreibt er nur in indirekter Rede. Der Erfolg: Dauerhaft auf Bestsellerlisten, mit diversen Preisen ausgezeichnet, übervolle Lesungen und hoch gelobt in Rezensionen wie z. B.: „Ein Welterfolg, der den Leser vermeintlich sicher an die Hand genommen und in eine entlegene Welt geführt hat.“ (Die Presse, Kostberger, 17.1. 2009). Mit dem Untertitel „Roman“ glaubt der Autor, sich jede Freiheit in der Behandlung der Figuren erkauft zu haben.

 

Im Interview (Die Presse, 3.3.2007) sagt er zur Rechtfertigung seiner Leichenfledderei: „In dem Moment, in dem auf einem Buch das Wort „Roman“ steht, ist alles Erfindung, auch wenn dies oder das zufällig wahr ist.“ Das ist reine Heuchelei, denn wenn seine Hauptfiguren Hinz und Kunz hießen, würde kein Hahn nach seinem Buch krähen. Sowohl Humboldt wie Gauß waren schon zu Lebzeiten weit über Deutschland hinaus gefeierte Berühmtheiten. Über die Bedeutung von Humboldt habe ich selbst einen näheren Einblick, da ich eine Reihe von naturwissenschaftlichen Büchern aus dieser Zeit besitze, aus denen recht klar hervorgeht, welch wissenschaftlichen Sprung Humboldt bedeutete.

 

In den mir vorliegenden vier Bänden der „Reise in die Aequinoktial- Gegenden des neuen Kontinents“ verblüfft im Vergleich mit zeitgenössischen Werken die Sachlichkeit, mit der Humboldt über Klima, Geologie, Tierwelt und Pflanzen im Detail berichtet, allem auf den Grund geht und keine Mühen scheute. Keine Spur von der damals noch üblichen anthropozentrischen Schau der Dinge, wie man sie z. B. noch bei seinem ebenfalls berühmten jüngeren Zeitgenossen Alfred Brehm ( 1829-1884) findet, bei dem gewisse Tiere noch als zornig, grausam, hinterhältig und diebisch charakterisiert werden.

 

Nun einige Beispiele aus dem Buch Kehlmanns : Im zweiten Kapitel erfindet der Autor, dass der eifersüchtige Alexander Humboldt in Jugendjahren seinen später ebenfalls recht berühmten Bruder Wilhelm mit Rattengift beseitigen will, der ihn dafür auf dem Eis einbrechen und fast ersaufen lässt! Über das Sterben von Humboldts Mutter (Seite 35 ff.): „Gegen Mitternacht wurden ihre Schreie so hemmungslos laut, schienen so tief aus ihrem sich aufbäumenden Körper emporzudringen, als durchlebe sie einen Höhepunkt der Lust. Am Nachmittag sahen die Bedienten Humboldt auf und ab gehen, das Gesicht zum Himmelgekehrt wie ein Idiot.

 

Er müsse, sagten sie zueinander, sehr erschüttert sein. Und wirklich: Er war noch nie so glücklich gewesen.“ Nun ein Beispiel über Gauß, um den durchgehenden Stil Kehlmanns näher zu bringen: „Wenn er halblaut redend durch die Straßen ging, fühlte er sich wacher denn je. Ohne hinzusehen, wich er den Leuten aus, einmal sprang er grundlos zur Seite und war nicht einmal überrascht, als in derselben Sekunde ein Dachziegel neben ihm zerschellte. Die Zahlen begleiteten ihn jetzt immer. Er vergaß sie nicht einmal, wenn er die Huren besuchte.

 

Es gab nicht viele in Göttingen, sie kannten ihn alle und gaben ihm manchmal Rabatt.“ Kehlmann lässt Gauß auch auf den berühmten Philosophen Kant treffen. Auch dieser ist hier ein seniler Trottel. Gauß versucht, ihm seine Gedanken über sphärische Geometrie zu erklären und wartet auf Antwort: „Er ging in die Hocke, so dass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem des Männchens war.

 

Er wartete. Die kleinen Augen richteten sich auf ihn. Wurst, sagte Kant. Bitte? Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen.“ ( Seite 96/97) In dieser Art ist das ganze Buch geschrieben. Man fühlt sich schon vom Lesen beschmutzt und das ist wohl beabsichtigt, um den Erinnerungswert zu heben. Wissen über die Hauptpersonen wird kaum vermittelt und das Ganze soll wohl einer neuen Art von geschmackloser Unterhaltung dienen. O tempora o mores! Sollte es Ihnen aber ehrlich gefallen: Meine Toleranz haben Sie!

 

Bestimmt werden sich nun Nachahmer finden. Auf die wahren Ungeheuer des abgelaufenen Jahrhunderts angewendet - Hitler, Stalin, Mao - könnte dies aber nur eine völlig unangebrachte Verniedlichung bedeuten. Um nicht missverstanden zu werden und nicht das Kind mit dem Bade auszugießen, soll die oben vorgebrachte Kritik nun nicht als ein genereller Appell für den tierischen Ernst verstanden werden. Satire und Kabarett sollen ihren Platz in der Gesellschaft haben.

 

Der Appell geht aber dahin: Leute, lasst euch nicht manipulieren, geht nicht auf den kommerziellen Leim und vertraut auf euer eigenes Gefühl. Selbst ein Nobelpreis für Literatur ist nur die Wertung einer vom Kommerz und von Politik nicht unabhängigen kleinen, abgehobenen Schar und Ihr könnt die Toleranz einer abweichenden eigenen Meinung verlangen!



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