„Spuren der Verirrten“
Ein Blick in das entstehende neue Linzer Musiktheater
LINZ. Zunächst bezeichnet „Spuren der Verirrten“ den Titel einer modernen Oper von Phillip Glass, mit welcher das neue „Musiktheater am Volksgarten“ – so der offizielle Titel - am 11. April 2013 eröffnet werden soll.
Aber könnte man die „Spuren der Verirrten“ nicht auch auf den Bau beziehen? Nach der Ablehnung des Theaters im Berg irrte man lange umher auf der Suche nach einem neuen Standort. Könnte es nicht sein, dass über das nun sichtbare Ergebnis der neuen Spur bei den Ablehnern von damals ein Gefühl von Irrtum und Reue aufkommt?
Nähert man sich von Süden auf der Wienerstraße dem Zentrum der Landeshauptstadt, steht man nach der Unterführung unter der Westbahn unvermittelt vor dem Riesenbauwerk mit einer spärlich gegliederten Seitenmauer von großer Höhe und bis 200 Meter Länge, ein Koloss wie ein vom Himmel gefallener „Ayers Rock“, um den herum sich nun der Verkehr in komplizierten Schnörkeln verwirrt.
Freundlicher ist der Anblick vom Volksgarten aus. Im ausgedünnten Park macht die einst durch Buschwerk wie in einer intimen Grotte sitzende nackte Brunnenfigur jetzt den armseligen Eindruck einer schutzlos Preisgegebenen. Vergessen in jetzt fremder Umgebung träumt sie frierend inmitten ihres Schmutzwasserbeckens vom 19. Jahrhundert.
Wir folgen den freundlichen Begleitern zu einer Baustellenbesichtigung und fühlen uns in den riesigen, meist finsteren und nur durch einen Scheinwerfer erhellten Räumen und Labyrinthen jetzt selbst als die Verirrten. An Arbeitstagen sollen bis 600 Leute an der Entstehung beteiligt sein:
289 000 m3 umbauter Raum, Nettofläche 44 000 m2, Theaterbühne und Zuschauerraum sind davon nur etwa ein Viertel. Ein durchdachtes System mit einer Transport –Drehbühne von 32 m Durchmesser mit Neben- und Hinterbühne sollen es erlauben, - laut Bericht als weltweit erstes Theater - gleich mehrere Produktionen parallel über längere Zeiträume zu halten und auf Knopfdruck zu wechseln. Die nach Bedarf 950 bis 1200 Sitzplätze verfügen über bisher unbekannte Beinfreiheit und Belüftung. Die Planung scheint keine Wünsche offen gelassen zu haben: Orchestersaal mit raffinierter Akustik, Proberäume, einen technisch neuartigen Orchestergraben von bisher unbekannten Ausmaßen, Nebenräume für Künstler und Publikum, Tiefgarage. Restaurant, Werkstätten usw.
Im überschaubaren Modell (linkes Bild) wirkt alles anders als in der Realität, denn in Letzterer ist man im Verhältnis zum Bauwerk kein Riese sondern ein Zwerg, der sich leicht erdrückt vorkommen kann.
Die Kostenschätzung 2006 beträgt € 150 Millionen. Davon sind seit Baubeginn 2009 bis jetzt schon über € 100 Mio an Aufträgen vergeben. Dank der opulenten Planung rechnet man nur mit indexbedingten Kostenerhöhungen.
Jedenfalls wurde das Theater im Berg mit einer Volksbefragung aller Oberösterreicher im November 2000 abgelehnt. Von rund einer Million Stimmberechtigten nahm die Hälfte daran teil und lehnten zu 60 % das Projekt in der geplanten Form ab.
Warum? Waren es ästhetische Gründe, weil der Gedanke an ein finsteres Höhlenloch lauerte oder war es Sparsamkeit?
Sollte es Letzteres gewesen sein, hätte man dann nicht erst recht auch über das nunmehrige Theater erneut befragen müssen und bezüglich Ästhetik vor allem die Linzer, die ja täglich damit leben müssen?
Schluss mit dieser unsinnigen Debatte! Eine bestimmte Partei wollte von sich reden machen und hätte man eine Befragung dieser Art für ein neues Projekt wiederholt, es gäbe nie eine Zustimmung für kulturelle Einrichtungen, die von einer Mehrheit der Befragten nie benützt werden, aus welchen Gründen auch immer.
Vom Städtebaulichen wäre das Theater im Berg wohl die bessere Wahl gewesen, aber lasst uns nicht länger über Versäumtes jammern. Da steht jedenfalls in Kürze ein Kulturtempel, der für die dort aktiv Tätigen – Künstler und Helfer - alle Wünsche zu berücksichtigen scheint.
Eine Bitte an die Verantwortlichen: Denkt auch hinsichtlich des Gebotenen an die Wünsche des breiten Publikums, das weit über Linz hinaus anzusprechen ist und das schließlich die sich aus der Einrichtung ergebenden ungedeckten Kosten nach Abzug der Einnahmen zu decken haben wird. (In Zeiten von Sparbudgets interessierende Angaben darüber waren nicht verfügbar).
Jede Hauptstadt muss sich der Gefahr bewusst sein, dass sie ein kulturelles Eigenleben entwickelt und sich dann dem Land entfremdet, in dem sie wurzelt, zum Nachteil beider Seiten.
Eine Konzentration auf avantgardistische Experimente nach dem Motto. „Je größer der Skandal, desto besser!“ würde auf die Verantwortlichen zurückfallen.
Zuschauerraum und Bühne
Dem gegenüber war das Theater im Berg (1100 Sitzplätze), das bis zu Baubewilligung im August 2000 durchgeplant war, mit einem Betrag von 1,2 Mrd. Schilling ( 87 Mio €) veranschlagt.
Eingangsbereich
Auch bei Berücksichtigung der zeitlich bedingten Kostensteigerungen zwischen den beiden Projekten hätte das Theater im Berg sicher weniger gekostet, aber das Musiktheater am Volksgarten erfüllt auch viel mehr Wünsche.