„Eine schöne Geschichte!“, sagt man wenn jemand in eine blöde Situation geraten ist

16 Nov 23:15 2013 von Oswald Schwarzl Print This Article

Gedanken über Empfehlungen und Preise für Sachbücher  und Belletristik.

Gibt es für beide objektive  Beurteilungsmaßstäbe? Schnell sagt man das: „Eine schöne Geschichte!“, wenn jemand in eine blöde Situation geraten ist und man eigentlich das Gegenteil meint. Mit Belletristik hat das aber nur insoweit etwas gemeinsam, als da wie dort an die Emotionen des Zuhörers appelliert wird. Für den nicht direkt Betroffenen mag es ja vielleicht sogar unterhaltsam sein, denn so lautet ja die Definition von Belletristik: Die schöngeistige (dichterische oder unterhaltende) Literatur.

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Die Sachbücher und die Belletristik zusammen sind  unsere Literatur und somit eine bedeutende Sache, ist darin doch unser gesamtes  Wissen, unsere Bildung und Kultur dokumentiert und ein erheblicher Anteil gebildeter Menschen ist mit ihrer  Erstellung, Pflege und Verbreitung beschäftigt und der überwiegende Teil der Menschen ist ein Nutznießer dieser Tätigkeiten, indem sie sich dafür interessieren, sie konsumieren, studieren und in sich integrieren.

Genau diese  Masse von Leuten erwarten sich nun auch, dass je nach Bedarf dafür Ratgeber und Empfehlungen aufgrund von Beurteilungen erstellt werden.


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Beim Sachbuch ist die Sache ja noch relativ einfach. Wenn der Umfang des gefragten Wissens definiert ist, gilt es zu beurteilen, wie verständlich, wie genau und wie didaktisch klug das Wissen vermittelt wird, denn darum geht es ja beim Sachbuch. Wissen soll vermittelt werden und die Bedeutung desselben im großen Zusammenhang dargestellt werden, auf das zum Verständnis oft erforderliche Basiswissen wäre hinzuweisen. Untermauerte Kritik und Zweifel an Theorien kann auch ein Sachbuch spannend machen und eine abweichende eigene Meinung provozieren. Denkt der Laie, in den Naturwissenschaften zählen nur Fakten, so tun sich bei näherer Beschäftigung mit jeder neuen Erkenntnis neue Fragen auf und eine Theorie ist so lange gültig, als es keine bessere gibt.


Noch viel schwieriger wird es aber im Bereich der Belletristik

Nach welchen Gesichtspunkten kann man da empfehlen oder kritisieren?  De gustibus non est disputandum sagt schon ein  lateinisches Sprichwort: Über Geschmack lässt sich nicht streiten! Was der eine schön findet, muss dem anderen nicht gefallen, und was heute „in“ ist, wird morgen belächelt.

Überlegen wir doch selbst einmal, welche Gesichtspunkte für die Beurteilung von Belletristik von Bedeutung sein können:


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  1. 1. Sprache. Werden die Regeln korrekt angewendet und die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache in Satzbau Wortwahl entsprechend  genützt.
  2. 2. Handlung und Aufbau. Wird eine konsistente[1] Geschichte erzählt oder werden  absichtlich irrrationale Elemente mit eingebaut und welche Wirkung auf die Gefühle der Leser ist beabsichtigt? Wie ist dies zu beurteilen? Soll der Roman zwar unterhalten, so heißt das nicht, dass er nur harmlose, angenehm  und heitere Inhalte bringen soll. Manche lieben im Gegenteil die dramatischen und vielleicht blutrünstigen Szenen. Schon das griechische Theater versuchte, über die Erschütterung der Gefühle des Zuhörers eine moralische Wirkung zu erzielen.

Formal hat sich besonders seit Dan Browns Davinci- Code die wechselnde Erzählung in zwei zeitlichen Ebenen (je ein Kapitel Gegenwart wechselnd mit einem Kapitel Vergangenheit, bis sich beide Handlungsstränge kurz vor dem Schluss zu einem vereinen)  wie eine Seuche bei den Romanschreibern eingeschlichen.

Zum Umfang zeigt sich, dass Verleger offenbar Romane mit mindestens 200 bis maximal 500 Seiten sich wünschen. Die Folge ist, dass nun in vielen  Manuskripten durchgehend mit Schilderung von Nichtigkeiten Volumen gemacht wird, oder dass nach etwa 2/3 des Umfanges plötzlich eine krampfhafte Dehnung der Handlung einsetzt, um den gewünschten Umfang zu erreichen.

 

  1. 3. Zeitgeist. Neben einer gelungenen Handlung ist für eine Hervorhebung durch Kritiker von zunehmender Bedeutung, inwieweit dem Schreiber es neben dem Handwerklichen gelungen ist, neue, den Zeitgeist widerspiegelnde Elemente einzubringen bzw. solche zu erfinden. So war z. B. seinerzeit durch Franz Kafka (1883 -1924) in der Zeit des aufkommenden Surrealismus der Gag, in Romanen den Sinn des Ganzen offen zu lassen. Derzeit hat, als aktuelles Beispiel, die deutsch schreibende Ungarin Terézia Móra den deutschen Buchpreis 2013 für „Das Ungeheuer“ wohl in erster Linie für die Neuheit einer  auf  jeder  Seite formal doppelten  Handlung erhalten.

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Manchmal werden von eifrigen Kritikern wohl auch dumm-dreiste Experimente als  genial neue  Zeichen der Zeit  missdeutet, aber anderseits hat alles Neue zunächst mit konservativen Widerstand zu rechnen.

Tragikomisch wird es, wenn romanhafte, modern sein wollende Darstellungen  mit Sachinformation verwechselt werden. Da hatte unlängst anlässlich eines Gedenktages des großen Naturforschers Alexander v. Humboldt der Redakteur einer Linzer Tageszeitung tatsächlich empfohlen, zwecks sachlicher Information über diesen das Buch „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann zu verwenden. Dessen Masche, originell zu sein, bestand aber darin, den großen Gelehrten und den Mathematiker Gauß ohne brauchbare Sachinformation als Volltrottel darzustellen.

Er rechtfertigte dies damit, dass ja „ROMAN“ am Anfang stehe. Ich hätte das Buch nicht einmal lustig (oder sonst was) gefunden, wenn an Stelle der verdienten alten Gelehrten noch lebende Politiker gestanden wären! Kommerziell hat sich die Sache aber wohl gelohnt, stand diese sonderbare Art von Roman doch wochenlang auf der Bestsellerliste.

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Das Feuilleton als literarische Kurzform soll hier noch besonders erwähnt werden, ist es doch oft ein Wanderer zwischen den Welten des Sachbuchs und der Belletristik um in leicht verdaulicher Form  Lust auf mehr eines Themas zu wecken.

Auch das Gedicht wollen wir nicht vergessen, diese Perle des Schöngeistigen. Durch Reim und Sprachrhythmus findet es mit hohen Erinnerungswert direkten Zugang zu Gefühlen. (Die Musik, übrigens,  schafft das sogar ohne Worte!).

 

Jetzt haben wir uns aber noch nicht mit der Psychologie des Lesens befasst.  Kann man bestimmten Typen von Lesern bestimmte Art von Literatur bevorzugt zuordnen und wenn ja, warum?

In gewissem Ausmaß kann man das tatsächlich, aber nichts ist von Dauer, Persönlichkeit und Laune ändern sich.

 

Ich würde die Leser von Belletristik zunächst in 2 große Gruppen einteilen:

  1. a) Leser, die bevorzugt Sachbücher lesen und zur Auflockerung zeitweise Ausflüge in die Belletristik machen.
  2. b) Leser von Belletristik, die nur Ausnahmsweise oder unter externen Druck ein Sachbuch lesen.

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Warum liest man etwas aus eigenem Antrieb? Die Antwort ist einfach: Um ein Gefühl der Neugier zu befriedigen. Man hat also eine Erwartungshaltung und wird diese erfüllt, schüttet das Gehirn Wohlfühlhormone zur Belohnung aus.

 

Wer liest nun mit Vorliebe welche Bücher?

Gesucht wird vom Leser besonders das, was ihm gefühlsmäßig fehlt oder in positiver Erinnerung ist und er fühlt mit den Romanfiguren durch unbewusste Identifikation. Wer sich nach Liebe sehnt, liest gerne Liebesromane mit Happyend, der an Fernweh leidende verschlingt Reiseromane und Geschichten über ferne Länder, der sich langweilende sucht Kriminalromane oder viel „Action“, sadistische Gefühle werden mit Gruselromanen befriedigt usw. usf. und das alles vom Wohnzimmer aus!

Aber auch der Sachbuchleser frönt den Gefühlen, denn auch er empfindet Befriedigung, wenn es ihm gelungen ist, sein Weltbild zu erweitern.


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Kehren wir jetzt zurück zum Anfang. Da waren wir uns ja einig, dass Geschmack eine sehr individuelle Sache sei. Wenn Belletristik unterhalten soll, dann kann aber die Ansicht darüber sehr verschieden sein, was als lustig, langweilig, spannend, peinlich, kitschig, dezent oder anstößig, Gefühle beleidigend oder schmeichelnd wirkt. Und Meinungen können auch käuflich sein! Cui bono?

Kann da ein Kritiker, heißt er nun Meier, Müller oder Reich-Ranitzky, sich herausnehmen, seine Meinung apodiktisch als die allein richtige zu verbreiten? Der Leser möge sich die Frage unter Berücksichtigung des hier gesagten selbst beantworten! Und sollten Sie, lieber Leser, bei einem für den Nobelpreis für Literatur genannten Buches nach vielleicht 100 Seiten erschöpft aufgeben, Sie brauchen keine Selbstzweifel haben, Juroren ticken anders, wir auch!


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