YIN und YANG

27 Nov 14:09 2011 von Oswald Schwarzl Print This Article

Östliche Philosophie und warum der Westen in Technik führt

Die Philosophie des Taoismus entstand in China einige Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. Ein Hauptgedanke, der unseren westlich trainierten analytischen Gehirnen zunächst fremd erscheint, besteht darin, Gegensätze als zusammen-gehörige Einheit aufzufassen. Bei näherer Betrachtung klingt es aber durchaus logisch:

 

Für Finsternis ohne Licht hätten wir wahrscheinlich  keinen Namen, ohne Leid wäre Glück nicht spürbar weil alltäglich, ohne „hässlich“ gäbe es kein „schön“, ohne heiß kein kalt, ohne Pluspol gibt es elektrisch keinen Minuspol usw.2  Man sieht somit zwei Erscheinungen eines einzigen zusammengehörigen Phäno-mens. Dazu kam die Erkenntnis, dass in Natur und Kosmos alles einem ständigen Wechsel unterliegt. Letzteres haben unabhängig zur etwa gleichen Zeit die alten Griechen mit ihrem panta rhei- alles fließt (Heraklit 540-480 n.Chr.)  erkannt und im Hinduismus und Buddhismus gab es ähnliche Erkenntnisse.

 

Die Vorstellung eines sich immer wiederholenden Zyklus zwischen den beiden Gegenpolen fanden in China im Yin – Yang – Symbol den  Ausdruck dieser Lebensphilosophie. Die Zentrumspunkte sollen andeuten, dass dann, wenn eine der beiden Kräfte ihren Endwert erreicht, bereits der Same für die dynamische Entwicklung ins Gegenteil gelegt ist.

 

Alle Veränderung entsteht aus den Gegensätzen: In der unbelebten Welt nach physikalischen Gesetzen und  in der Welt der Menschen aus ihrem Wollen durch hormoninduzierte Gefühle. Da sind die Grundtriebe Essen und Fortpflanzung, gefolgt von Gemeinschaftssinn und tertiär erst nach Befriedigung der vorherigen der Unterhaltungssinn für Kunst, Musik und Tanz.

 

Es ist nur der Wechsel, der Nachhaltig ins menschliche Bewusstsein dringt. Ist etwas länger in einen gleichförmigen Zustand übergegangen, der keine Gefahr signalisiert, scheint es aus ökonomischen Gründen der Biologie nicht mehr nötig, ihn in besonderer, Energie zehrender Evidenz zu halten. Leben und Geist ist dann erneut auf der Suche nach Spannungszuständen.

 

Den Gedanken des im Yin–Yang – Prinzip steckenden Wandels kann man auch auf große Ideen der westlichen Welt übertragen, die in ihrer Dynamik schließlich entarten und ins Gegenteil umschlugen: 

 

Die christliche Nächstenliebe in den Terror der Ketzerverbrennungen, der Ruf nach Freiheit der französischen Revolution in Anarchie und Schreckensherrschaft der Jakobiner, der Kapitalismus zur schrankenlosen Ausbeutung der Massen und dann zur Gegenbewegung Kommunismus, der seinerseits von der positiven Idee der Hilfe für die Unterdrückten in neue diktatorische  Sklaverei und Will-kürherrschaft endete. Karl Marx konstruierte aus der dem Yin-Yang ähnlichen Dialektik Hegels seinen Dialektischen Materialismus, in dem er aus dem Stand der Entwicklung einer Volkswirtschaft – von ihm „die Produktionsverhältnisse“ genannt - den richtigen Zeitpunkt zum Handeln zwecks Einsetzung eines neuen Ideals ableitete. Über dessen praktisches Funktionieren machte er sich keine Gedanken.

 

Im Buddhismus kam zum Verständnis des unabänderlichen, steten Wandels noch die Erkenntnis, dass das menschliche Festhalten   wollen  eines angenehmen   Zustandes  gegen   die Natur sei und alles Leiden im menschlichen Leben aus der Habgier komme. Das wahre Glück käme aus dem Loslassen der Begierden und sich- wie in Meditation- in dieser Erkenntnis vereint zu fühlen mit Natur und Materie, um schließlich im Nirwana aufgelöst und erlöst zu sein.

 

Wenn der Osten schon lange vor Europa eine breite und beständige geistige Basis hatte,3 so fragt man sich, wie es kam, dass der Westen schließlich in den Naturwissenschaften einen so großen Vorsprung gegenüber der übrigen Welt erzielte.

 

Zwar waren auch die alten Griechen konsequente Denker wie Inder und Chinesen und sie hatten auch ursprünglich eine ähnlich globale Sicht der Welt, in der sie das Geistige und das Materielle als Einheit betrachteten. Nach Heraklit  aber begann mit Parmenides von Elea eine neue Denkweise der Trennung zwischen Geist und Materie, die in Aristoteles (384–322 v. Chr.) einen Höhepunkt erreichte und die Betonung des Geistigen, das Nachdenken über Seele und Gott für wichtiger als über materielle Dinge erachtete. Er wurde weit über 1000 Jahre richtungweisend in Europa und seine Ideen flossen auch in die christliche Schulphilosophie ein.

 

In der Renaissance begann man dann, Ideen mit praktischen Experimenten zu überprüfen und mit dem Interesse für Astrologie und Astronomie stieg das Interesse für Mathematik.

 

(Galilei!). Über René Descartes und Newton (1642-1727) war im Westen die Trennung von Geist und Materie, von Philosophie und Mechanik, vollzogen.

 

Auf diesem Wege galt es, einige Kompromisse zu machen.

Der Kosmos in seiner Gesamtheit ist als ein interagierender Organismus anzu-sehen. Wie im menschlichen Körper gilt: 

 

Die einem übergeordnetem Prinzip unterworfene Gesamtheit ergibt etwas völlig anderes als eine Summierung ihrer isolierten Einzelteile. Dies wurde im westlichen Denken  vernachlässigt, was die Probleme wesentlich vereinfachte.

Die Newtonschen Gesetze ignorieren z.B. die Reibung, die Erdrotation u.a. Die Medizin suchte die Hauptfunktionen der einzelnen menschlichen Organe, zunächst ohne ihre Rück-kopplungen im Netzwerk körperlicher und geistiger Zusammenhänge näher zu verfolgen.

 

Mit dieser Methode erzielte man rasch brauchbare Erkenntnisse, die man auch praktisch umsetzte. England wurde im 18./19.Jahrhundert in der Maschinen-technik führend und fand bald Nachahmer am Kontinent. Seit der Erfindung des Buchdrucks war es auch ungemein erleichtert worden, Wissen schnell zum Allgemeingut zu machen. 

 

Stand das alte griechische Wissen an der Wiege der euro-päischen Entwicklung, so war es im Mittelalter doch kaum mehr präsent gewesen und erst über die Rückeroberung der iberischen Halbinsel nach 1236 nach fünfhundertjähriger arabischer Herrschaft wieder zur Kenntnis gelangt. Die Kalifen hatten berühmte Handschriftensammlungen und holten die berühmtesten Gelehrten an ihre Höfe, wie die  Weisen Averrois und Avicenna. So sind auch unsere arabischen Zahlen eigentlich aus Indien und von den Arabern als deren Nachbarn übernommen worden. 

 

Da stellt sich nun die Frage, wieso  dann die arabische Kultur  diesen Wissens-vorsprung in den Naturwissenschaften nicht nützte. Nach dem Hoch setzte am Ende  13.Jh. eine Gegenbewegung ein, die wissenschaftliche Ursachen-forschung als Gotteslästerung verdammte. Auch der 1445 erfundene Buchdruck  war  fast  300 Jahre  verboten   Dazu   kommt   die in ihrer Kultur geltende Ver-achtung Gebildeter für manuelle Tätigkeiten, die gegen praktische Experimente sprach. 

 

Die nachfolgende europäische Renaissance hat jedoch dieses ganze Wissen einschließlich dem der Griechen und Römer übernommen.

 

Der Einfluss der Schrift auf die Entwicklung unserer Kultur kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

 

Im ganzheitlich denkenden China ist auch die Schrift ganzheitlich Worte und Begriffe symbolisierend. Dagegen ist die westliche Buchstabenschrift gemäß dem analytischen Denken auf die Grundelemente der Laute gegangen, die es ermög-licht, anstatt tausender Wortsymbole mit nur 26 Buchstaben (im Deutschen) jedes Wort darzustellen.

 

Wenn wir eine zeitgemäße Anwendung der Yin – Yang Prozesse suchen, drängt sich die Frage auf, ob unsere technisch-wissenschaftliche Kultur der Zerlegung und Isolierung und des Experimentierens mit den Elementen der Schöpfung auf dem Weg ist, sich in der Übertreibung selbst ad absurdum zu führen, indem sie sich selbst die Lebensgrund-lagen entzieht.

 

Das exzessive Weitertreiben eines isolierten Problems ohne Rücksicht darauf, wie es sich auf den Gesamtzusammenhang auswirkt, kann an vielen Beispielen gesehen werden.

 

Aktivität                                                  Folgen

Massenverbrennung fossiler Brennstoffe    Klimaverschlechterung, dadurch                                        

Prod. unnatürl. Stoffe (wie Plastik, Atom-    Naturkatastrophen, Hungersnöte,

Müll ), Genmanipulation                              Umweltschäden jeder  Art                                  

Maschinen statt Muskeln,                           Degenerationserscheinungen, 

zu viel Fett, Eiweiß, Zucker                         schließlich vererbt, ergibt ständig .

                                                                 pflegebedürftige Generationen 

            

Computer, IT  statt rechnen  u. lernen        Verdummung durch Abbau nicht 

                                                                  genützter Hirnstrukturen   

 

Suche nach Lustgewinn  statt Arbeit           Süchte. Folgen siehe oben.

„Selbstverwirklichung“ statt Familie            Keine Kinder, Überalterung.

                                                                 Fehlende Steuerleistungen  

 

In der Ökonomie als Folge: progressiver      Unfinanzierbarkeit wird zunächst mit               

Aufwand statt Wertekreislauf                     Geldvermehrung kaschiert, schließlich                                                                        Systemzusammenbruch

  

Das Ende wäre also, dass das System total physisch, psychisch und ökonomisch kollabiert.  Und dann? 

   

Der Islamismus scheint die   Schwächen des Westens erkannt zu haben, aber könnte er ein morsches Wertesystem ablösen? 

 

Für eine Ideologie, in sich zerstritten und intolerant, die nicht mit Vorbild und Wissenschaft ihre behauptete moralische Überlegenheit zeigen kann, sondern mit Anschlägen gegen hilflose Massen argumentiert, scheint dies kaum denkbar. aufbauen.

 

Wohin China steuert, ist offen. Am Wahrscheinlichsten ist, dass der in den Medien gezeigte schnelle Wohlstand der westlichen Konsumgesellschaft einen so starken Sog auf die relativ bescheiden lebenden Massen ausübt, dass die Regierenden dem nachgeben müssen. Damit wird dann die Tendenz zur Weltkrise des Systems Westen wesentlich beschleunigt werden.

 

Unsere nächsten Generationen werden zeigen müssen, ob uns ein ökologisch funktionierender Übergang ohne Katastrophe noch möglich ist. Es ist fünf vor zwölf. 

 

Oder sollte unser Verstand eine Sackgasse der Evolution sein?



  Markiert "tagged" als:
  Kategorien:
view more articles

Über den Author

Oswald Schwarzl

CR

Chefredakteur in Ruhe