Regionews-Kaleidoskop: Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben

26 Aug 21:45 2012 von Oswald Schwarzl Print This Article

„Schuld und Sühne“. Wie weit hat der Mensch einen freien Willen?

LINZ. Seit Menschen ein persönliches Bewusstsein haben, wurde wahrscheinlich die Frage gestellt, ob sie das, was sie tun, letztlich bewusst gewollt haben. Jeder Philosoph, vom alten Griechenland bis in die Neuzeit, hat sich mit dieser Frage beschäftigt und hat  mit meist eigenwilligen Definitionen für Wille, Verstand, Vernunft, Trieb, Charakter usw. die verschiedensten „ –ismen“ geschaffen wie Voluntarismus, Intellektualismus, Emotionalismus, Determinismus etc., in die wir uns aber hier nicht weiter verirren wollen.

 

Diese vielen, zum Teil gegensätzlichen Theorien über die menschliche Natur war aber gemeinsam - vielleicht mit Ausnahme Nietzsches – aus ihren Überlegungen letztlich Empfehlungen für ein gesellschaftlich positives Verhalten abzuleiten.

 

Mit der Aufklärung begannen die Naturwissenschaftler im 19. Jahrhundert, sich dieser Frage rein praktisch anzunehmen, nämlich: Wie kommt es im Gehirn zum Entscheidungsprozess und wodurch entstehen Fehlleistungen?


Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben, foto: mediabox

Zunächst versuchte man sich nahe liegend an der „Hardware“ . Über Kopfform und Gehirnbetrachtung Verstorbener suchte man nach Ursachen von Abnormitäten und kam bei Operationen von Gehirnteilen von z.B. Verunfallten zu ersten Erkenntnissen über die Folgen des Fehlens einzelner Teile.

Hineinschauen in ein voll funktionierendes Gehirn in „Vollbetrieb“ mit der tausendfachen Vernetzung der Neuronen konnte man natürlich nicht.

 

Auch Siegmund Freud begann mit Hirnresektionen, um dann aber, anstatt über die „Hardware“, nun über den „output“ – d. h. die Aussagen seiner Patienten bei analytischen Befragungen  auf  Fehler im programmierten Mechanismus in der „Systemsoftware“  zu schließen. Dabei kam er schon zu ziemlich weitgehenden Erkenntnissen. Dass er dabei zu viele der von ihm festgestellten Patientenprobleme auf verdrängte sexuelle Ursachen zurückführte, war wohl die Reaktion auf die übertriebenen Prüderie seiner Zeit.

 

Von der Psychoanalyse war es nur ein logischer Schritt zur Verhaltensforschung (Ethologie), welche die Ursachen und denn Sinn von menschlichen und tierischen Verhalten untersuchte. Dazu einige Namen: Konrad Lorenz, Eibl-Eibisfeld, Frisch, Tinbergen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam auch der amerikanische Behaviorismus auf, der – ohne physiologische Beweise – behauptete, dass es eigentlich keine verstandesmäßig gewollten, bewussten menschlichen Handlungen gäbe, sondern alles auf Grund „konditionierter“ (= erlernter) oder angeborener Verhaltenszwänge ablaufe.

 

Über Evolutionsbiologie und Psychosomatik  (mit Namen wie Richard Dawkins, Desmond Morris,  Brian Sykes, J. Gould,  J. Bauer) kam es schließlich zur kognitiven Neurobiologie. Diese hatte inzwischen ja mit Elektroenzephalogramm, Positronenemissionstomographie  und Magnetresonanz-enzephalographie die Möglichkeit, wenigstens in groben Zügen die Abläufe im Gehirn in Aktion zu sehen. Allerdings sind wir auch damit noch weit davon entfernt, die innigen Verbindungen und Rückkopplungen von 100 Milliarden Neuronen zu verstehen oder gar in einem Schaltplan darzustellen oder die individuellen Unterschiede im Charakter von Menschen physiologisch zu enträtseln.

Die traditionelle Sicht auf Entscheidungsfindung und Ausführung war, dass diese im präfrontalen Kortex (Stirnhirn) als zentrale Stelle stattfinden. Allmählich fand man aber, dass die Handlungssteuerung keine zentral erfolgende Befehlserteilung ist, sondern ein deterministisches Optimierungsproblem mit multiplen Randbedingungen, ausgeführt im Arbeitsgedächtnis. An den zu durchlaufenden Schleifen sind auch subkortikale Elemente wie das limbische System (generiert Gefühle) und die Basalganglien (motorische Steuerung  u. a.) beteiligt.[1]

 

!983 erweckte die Veröffentlichung eines Experiments des amerikanischen Neurobiologen Prof. Benjamin Libet aufsehen:

Versuchspersonen hatten innerhalb einer gewissen Zeit den willkürlichen Entschluss zu einer bestimmten Handbewegung zu treffen, dessen Zeitpunkt erfasst wurde.

Bei der Registrierung der Hirnvorgänge wurde nun festgestellt, dass entgegen den Erwartungen, nicht zuerst der  Entschluss  zur Bewegung erfolgt, und dann das im EEG sichtbar werdende neuronale Bereitschaftspotential, gefolgt von der  motorischen Ausführung, sondern dass schon eine  Sekunde vor dem Entschluss sich  zuerst das Bereitschaftspotential bildet !

Damit hätte also nicht primär der bewusste Wille den Vorgang ausgelöst, sondern der Befehl aus dem Unbewussten.

1999 haben die amerikanischen Professoren Haggard und Eimer bei einem erweiterten Versuch dieses Ergebnis erneut bestätigt.

 

Ist nun ein solches Diktat aus dem Unbewussten auch auf komplexere Fragestellungen anzuwenden? Jedenfalls sind sich die Neurobiologen einig, dass auch nach rationalem Abwägen und der Heranziehung gemachter Erfahrung das Ergebnis vom Limbischen System  emotionell akzeptabel sein muss.[2] Das Ergebnis nimmt der Mensch dann als seine eigene Entscheidung, wenngleich es die Kritiker als nicht völlig frei bezeichnen wollen, sowenig wie z. B. die Ausführung einer zum Lebenserwerb notwendigen, aber nicht geliebten   Arbeit.

 

Da der Entscheidungsprozess im Gehirn also unter Einfluss unbewusster Elemente erfolgt, sind Neurobiologen der Ansicht, dass es keine volle Willensfreiheit gibt. Nun geht aber das staatliche Recht davon aus, dass ein Mensch ohne geistige Störungen im Stande ist, die Gesetze zu verstehen um sich dann zwischen Recht und Unrecht frei zu entscheiden. Eine schuldhafte Handlung liegt vor, wenn nach allgemeinen Normen eine Tat nicht hätte ausgeführt werden dürfen. Die Konsequenz der Schuld ist Strafe. Diese soll neben Vergeltung auch Abschreckung, eventuell Besserung und Schutz der Gesellschaft bewirken.

 

Wenn also Neurobiologen unter dem Eindruck eines im Gehirn offenbar deterministisch ablaufenden Entscheidungsprozesses sagen, dass dort freie, bewusste  Willensentscheidung  nicht stattfindet, so begeben sie sich damit auf ein sehr gefährliches Terrain, denn mit der nachfolgenden Konsequenz: „Ohne Wille keine Schuld – ohne Schuld keine Strafe“ würden sie die Nähte aufreißen, die eine Gemeinschaft zusammenhalten. Jeder könnte dann ohne Eingreifen des Staates machen, was ihm gefällt, denn er hat für die Prozesse in seinem Kopf keine Verantwortung mehr. Damit könnte man Straf- und Schuldrecht vergessen und de facto durch das Faustrecht ersetzen.

Das ist den Vertretern einer fehlenden persönliche Schuld wohl irgendwie bewusst und deshalb versuchen sie ein wenig krampfhaft, unter Erhaltung ihrer Theorie eine Brücke zu bauen:  Man könnte  Strafe nur als Generalprävention ansehen, nicht wegen einer persönliche Schuld, sondern wegen Verletzung gesellschaftlicher Normen. Der Besserung sollte mehr Gewicht gegeben werden, um Tätern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, welches das gesellschaftliche Zusammenleben nicht nachhaltig stören darf. Allerdings machen  sich  Psychologen wenig Illusionen über mögliche charakterliche Änderungen einmal Erwachsener! Bei Jugendlichen kann Psychotherapie besser sein als Strafe in schlechter Gesellschaft.

 

Ich meine, dass in diesen Fragen die Neurobiologen zu sehr vom isoliert gesehenen Bild des Gehirns bei einer einzelnen Entscheidung befangen  sind. Unbestritten ist, dass dann im aktuellen Moment ein neuronaler Prozess abläuft, der nach wahrscheinlich mehrmaligen passieren von Schleifen, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind,  es schließlich  zu einem deterministischen Ergebnis kommt.

Kann man dies nun gleich mit einer verminderten Zurechnungsfähigkeit gemäß  § 11 Österr. StGB setzen? Dort wird dekretiert, dass jemand nicht schuldhaft handelt, der unfähig ist, aus geistigen Gründen anders zu handeln. Wird ein solcher Zustand aber willentlich oder fahrlässig herbeigeführt, bestraft das Gesetz nicht die Tat, sondern die herbeigeführte Berauschung.( § 287). Inkonsequenterweise, aber wohl  aus  verständlichen praktischen Gründen, wird Berauschung ohne Tat nicht bestraft.

 

Zur Beurteilung der gestellten Frage ist weiters zu bedenken, dass der jeweils aktuelle Zustand der beteiligten Gehirnregionen  das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung ist, an welcher der Verstand immer Gelegenheit hatte mitzuwirken.

Richtig ist, dass  die Gefühl generierenden Komponenten des Gehirns nicht auf spontane Befehle aus dem bewussten Kortex reagieren. So sagt man z. B. sehr richtig umgangssprachlich: „Er wurde (gegen seinen Willen-) von seinen Gefühlen überwältigt und weinte hemmungslos“. Auch das Strafrecht unterscheidet zwischen Handlung im Affekt („Die Wut übermannte ihn..“) und geplanter Tat. Im Ersteren sieht das Gesetz ein geringeres Maß der Schuld.

 

Ist das Unbewusste auch nicht spontan dirigierbar, so ist es doch zeitlich gesehen lernfähig, wenn der willentlich arbeitende Verstand es in eine  gewünschte Richtung lenkt, denn zu jedem Gefühl gibt es einen Antagonisten  der Gegenrichtung, welcher durch bewusste Übung gestärkt werden kann. Beispiele: Ein Laie versagt meist bei erster Hilfe eines schlimm Verletzten durch aufkommende Panikgefühle, der Notarzt dagegen hat gelernt diese auszuschließen, da sonst sachliche Hilfe nicht möglich ist. Auch eine Spinnen- und  eine Flugangst ist abgewöhnbar (wenn man will!). Oder: Um eine Sprache oder Handfertigkeit zu lernen, muss man meist erst selbst wollen, die hemmende Trägheit zu überwinden. Befasst man sich dann näher damit, wird der Erfolg mit der Ausschüttung von Glückshormonen belohnt. Aber auch das Gegenteil geht: „Er nährte und pflegte seine Wut gegen ihn, bis er dann schließlich….“

 

So scheint  also die Verantwortung eines Menschen für sein Tun wohl gegeben und im Allgemeinen steht auch jeder dazu, obgleich sein Verstand ihm gleich hilft, bei Fehlverhalten Argumente zu seiner Entschuldigung zu finden.

Wenn die Gesellschaft dem Abweichler harte Strafen zufügt oder androht, so entstehen  aus diesen negativen Erfahrungen dann Spuren im limbischen System, welche den neuen Entscheidungsprozess deterministisch im Sinne der Gesellschaft beeinflussen.

 

„Alles verstehen, heißt alles verzeihen“ heißt ein  Sprichwort. In Einzelfällen zwischen zwei Menschen angewendet erscheint dies schön und menschlich. Als generelle gesellschaftliche Richtlinie dagegen ist es unbrauchbar, denn die Regeln des Lebens sind andere, und so sollte uns weiterhin niemand die persönliche Verantwortung abnehmen.



[1] Gerhard Roth: „Fühlen Denken, Handeln“, Suhrkamp 2003, 600 Seiten,

Seiten 480 ff.  Roth ist Prof. für Verhaltensphysiologie in Bremen.

[2] Siehe auch Eric Kandel (Nobelpreis 2000): Auf der Suche nach dem Gedächtnis, Goldmann 2006. Seite 416 ff.

 

Ich meine, dass in diesen Fragen die Neurobiologen zu sehr vom isoliert gesehenen Bild des Gehirns bei einer einzelnen Entscheidung befangen  sind. Unbestritten ist, dass dann im aktuellen Moment ein neuronaler Prozess abläuft, der nach wahrscheinlich mehrmaligen passieren von Schleifen, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind,  es schließlich  zu einem deterministischen Ergebnis kommt.

Kann man dies nun gleich mit einer verminderten Zurechnungsfähigkeit gemäß  § 11 Österr. StGB setzen? Dort wird dekretiert, dass jemand nicht schuldhaft handelt, der unfähig ist, aus geistigen Gründen anders zu handeln. Wird ein solcher Zustand aber willentlich oder fahrlässig herbeigeführt, bestraft das Gesetz nicht die Tat, sondern die herbeigeführte Berauschung.( § 287). Inkonsequenterweise, aber wohl  aus  verständlichen praktischen Gründen, wird Berauschung ohne Tat nicht bestraft.

 

Zur Beurteilung der gestellten Frage ist weiters zu bedenken, dass der jeweils aktuelle Zustand der beteiligten Gehirnregionen  das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung ist, an welcher der Verstand immer Gelegenheit hatte mitzuwirken.

Richtig ist, dass  die Gefühl generierenden Komponenten des Gehirns nicht auf spontane Befehle aus dem bewussten Kortex reagieren. So sagt man z. B. sehr richtig umgangssprachlich: „Er wurde (gegen seinen Willen-) von seinen Gefühlen überwältigt und weinte hemmungslos“. Auch das Strafrecht unterscheidet zwischen Handlung im Affekt („Die Wut übermannte ihn..“) und geplanter Tat. Im Ersteren sieht das Gesetz ein geringeres Maß der Schuld.

 

Ist das Unbewusste auch nicht spontan dirigierbar, so ist es doch zeitlich gesehen lernfähig, wenn der willentlich arbeitende Verstand es in eine  gewünschte Richtung lenkt, denn zu jedem Gefühl gibt es einen Antagonisten  der Gegenrichtung, welcher durch bewusste Übung gestärkt werden kann. Beispiele: Ein Laie versagt meist bei erster Hilfe eines schlimm Verletzten durch aufkommende Panikgefühle, der Notarzt dagegen hat gelernt diese auszuschließen, da sonst sachliche Hilfe nicht möglich ist. Auch eine Spinnen- und  eine Flugangst ist abgewöhnbar (wenn man will!). Oder: Um eine Sprache oder Handfertigkeit zu lernen, muss man meist erst selbst wollen, die hemmende Trägheit zu überwinden. Befasst man sich dann näher damit, wird der Erfolg mit der Ausschüttung von Glückshormonen belohnt. Aber auch das Gegenteil geht: „Er nährte und pflegte seine Wut gegen ihn, bis er dann schließlich….“

 

So scheint  also die Verantwortung eines Menschen für sein Tun wohl gegeben und im Allgemeinen steht auch jeder dazu, obgleich sein Verstand ihm gleich hilft, bei Fehlverhalten Argumente zu seiner Entschuldigung zu finden.

Wenn die Gesellschaft dem Abweichler harte Strafen zufügt oder androht, so entstehen  aus diesen negativen Erfahrungen dann Spuren im limbischen System, welche den neuen Entscheidungsprozess deterministisch im Sinne der Gesellschaft beeinflussen.

 

„Alles verstehen, heißt alles verzeihen“ heißt ein  Sprichwort. In Einzelfällen zwischen zwei Menschen angewendet erscheint dies schön und menschlich. Als generelle gesellschaftliche Richtlinie dagegen ist es unbrauchbar, denn die Regeln des Lebens sind andere, und so sollte uns weiterhin niemand die persönliche Verantwortung abnehmen.



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