Kommunismus – wie war das wirklich?

05 Jän 23:42 2012 von Oswald Schwarzl Print This Article

Eine Nachschau über schnell fast vergessenes

 

Linz. Im November 2011 waren es 22 Jahre, dass der Sturz der Berliner Mauer den Zusammenbruch des Ostblocks und des Kommunismus einleitete.

 

Damit schien der Sieg des kapitalistischen Wirtschaftssystems endgültig zu sein. Aber genau jetzt nach einem globalen Siegeszug stürzt dieses System die Welt in eine tiefe Krise und stellt  wieder andere Systeme zur Diskussion. Da der Kommunismus - die Alternative des 19. Jahrhunderts -  heute bei den Jüngeren im Einzelnen weitgehend unbekannt ist, wollen wir uns ein wenig näher damit befassen und den Kommunismus und seine Praxis analysieren.

 

Diese Betrachtung ist in zwei Teile zu trennen, nämlich in den grundlegenden theoretischen Teil des Karl Marx  und in die Praxis der Verwirklichung in der Sowjetunion bzw. deren Satelliten, als „real existierender Sozialismus“ in der Sprache des Marxismus – Leninismus der „Volksdemokratischen DDR“.

 

Zunächst zu Karl Marx (Trier 1818 – 1883 London) und seine Lehre.

Der Sohn des Anwalts Heinrich Marx promovierte 1841 in Jena zum Doktor der Philosophie, war dann als Redakteur und Schriftsteller tätig, musste aber aufgrund seiner aggressiven Schreibweise bald Köln und dann auch  Paris verlassen und fand in Brüssel eine längere Bleibe. 

Dort verfasste er 1848 für den in London situierten „Bund der Kommunisten“, deren Mitglied er war, das Kommunistische Manifest, das gleichzeitig mit der in Paris beginnenden Revolution herauskommt und sich wie diese europaweit verbreitet.

 

Es beginnt wie folgt:

„Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“

 

Und endet:

„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnungen. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“

 

Die Aufstände wurden bald niedergeschlagen, die zunächst erzwungenen liberalen Zugeständnisse der Mächtigen werden größtenteils zurückgenommen und Marx gilt am Kontinent als Staatsfeind Nummer Eins. Er wird aus Brüssel und Paris ausgewiesen und geht wie sein Freund und Gesinnungsgenosse Engels nach London. Dort wird er die nächsten 34 Jahre bis zu seinem Tod auch bleiben.

Mit seiner Familie lebt er mehr schlecht als recht von seiner Schreiberei und ist auf die Unterstützung durch seinen Freund und Mitstreiter angewiesen.2

 

Von seinem Hauptwerk  „Das Kapital“ erscheint der erste Band erst 1867; den zweiten und dritten Band hat Engels nach vorhandenen Unterlagen erst nach Marx`s  Tod fertig gestellt.

 

„Das Kapital“ im Original zu lesen ist eine harte Arbeit, denn abgesehen vom Umfang machen es der ausschweifende philosophische Stil des 19. Jahrhunderts und  die eigenwilligen Definitionen des Autors schwierig. Nach seiner eigenen Aussage im Vorwort  soll  das Werk keine Anklage sein, sondern  eine Analyse, 

 

welche die Ablöse des Kapitalismus durch den klas-senlosen Kommunismus und die Diktatur des Proletariats als einen natur Geschichtlichen Prozess ergibt. 

 

Wie der Staat nach dieser Ablöse funktionieren sollte, 

haben weder Marx noch Engels je ausgeführt.2

 

Von den ausführlichen philo-sophischen Überlegungen entkleidet scheinen mir die folgenden Marx´schen Thesen jene, die für die spätere prakt-ische Umsetzung von Be-deutung waren. Sie werden hier  kurz und ohne Kritik wieder-gegeben:

 

 

Der Wert einer Ware wird von der im gesellschaftlichem Durchschnitt in sie investierte Arbeitszeit bestimmt. Um den Gewinn  zu erhöhen, werden durch Maschinen immer weiter Arbeitskosten eingespart. Der Kapitalist hält also den Arbeiter durch Rationalisierungen stets am Existenzminimum und steckt den erhaltenen Mehrwert als seinen Gewinn ein.. Sinkende Lohnquoten führen aber zu sinkender Nachfrage, da der Arbeiter auch Konsument ist. So entstehen Krisen, was den Kapitalisten  nach immer neuen Märkten suchen lässt. Die Gewinnsucht „jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.“

 

Die kapitalistische Akkumulation und die zunehmende Macht der Großen führen zum Untergang der kleinen Kapitaleigner –

 

- die großen Fische fressen die kleinen! – sodass Monopole entstehen. 

Nun ist es an der Zeit für die unterste Schicht, das Proletariat, das ganze System zu sprengen. Die Dialektik „Herr – Knecht“ soll abgeschafft werden durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie. Neben dem Proletariat soll es keine andere Gesellschaftsschicht geben. „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Moral und Religion sind Nebelbildungen im Gehirn, um die Proletarier ruhig zu halten. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden.“ Marx ruft zu revolutionären Änderungen auf : „Expropriiert die Expropriateure!“

Der Ausspruch „Eigentum ist Diebstahl“ stammt jedoch von 

P.J. Proudhon (1809 – 1865), einem französischen Sozial-philosophen, mit dem Marx jedoch bestens verfeindet war.

 

Zur weltweiten Verbreitung der kommunistischen Ideen wurde die Komintern  - Kommunistische Internationale – gegründet, die von Moskau als Zentrum die Weltherrschaft vorbereiten sollte.

 

Wie erwähnt, hat Marx keine Aussagen darüber gemacht, wie der Staat nach dem Sieg des Proletariats funktionieren soll. So war es vor allem Lenin (1870 – 1924) und dann Stalin (1879 – 1973), die den praktischen Teil nach der Machtergreifung 1917 (Oktoberrevolution) in Russland organisierten.

Nichts erscheint mir daher für diese  Darstellung geeigneter  als ein russisches Handbuch über Menschenführung und Gesellschaft aus dem Jahre 1974, ins Deutsche übertragen vom DDR-Verlag Neues Leben, Berlin, unter dem Titel „Was ist Kommunismus?“

Wörtliche Zitate daraus stehen unter Anführungszeichen, eigene kritische Bemerkungen  kursiv in Klammer.

 

Ökonomische Ordnung: Für Produktionsmittel gibt es kein Privateigentum und damit keine Ausbeutung des Menschen durch Menschen. (Als ob der Staat nicht durch Menschen repräsentiert wäre!). Es besteht Arbeitspflicht für jeden. „Das gesellschaftliche Eigentum schließt die Anarchie der Produktion, Krisen und Arbeitslosigkeit aus und macht es möglich und notwendig, die Entwicklung bewusst und zielgerichtet zu planen.“

Das gesamte dem Staat allein gehörige Vermögen eines Betriebes ist den bevollmächtigten Vertretern eines Kollektivs nur zur Verwaltung überlassen, ebenso wie Wohnhäuser und Siedlungen den Bürgern. (Wir haben ja in unseren Nachbarländern gesehen, wie die dann ausgeschaut haben!).

In der Landwirtschaft gilt das gleiche für die Sowchosen, doch gibt es daneben die Kolchosen, welche als Kollektiv  am Umlaufvermögen und den Gebäuden Eigentum erwerben können.  Den Grund stellt der Staat kostenlos zur Verfügung. Nach Abfuhr der vorgeschriebenen Produktion an den Staat kann ein Teil selbst verwertet werden. (Aus früheren Kornkammern wurden Notstandsgebiete!)

 

Im Sozialismus gibt es kein Privateigentum und die Warenproduzenten handeln im Namen des gesellschaftlichen Eigentümers. Damit der Produktionsaustausch die Warenform verliert, muss man einen Überfluss an materiellen und kulturellen Gütern schaffen und die Bedürfnisse aller Menschen unentgeltlich befriedigen. So wird es im Kommunismus sein. Im Sozialismus ist die Gesellschaft zunächst noch gezwungen, die Produkte unter den Menschen nach Umfang und Qualität ihrer Arbeit zuzuteilen.“ (Das versprochene Paradies wäre demnach eine geldlose Zuteilungswirtschaft ohne individuelle Unterschiede!).

 „Der Preis der Ware soll sich maximal ihrem Wert, das heißt dem Arbeitsaufwand für ihre Produktion, annähern.“ (Eine solche Wertdefinition kann nur so lange funktionieren, als infolge Mangel an Waren und Alternativen der Käufer es akzeptieren  muss. Ansonsten bildet sich ein Schwarzmarkt oder die Ware bleibt liegen.)

Die staatliche Preisfestsetzung für eine Ware gilt im ganzen Staatsgebiet und geht vom „gesellschaftlich notwendigen Aufwand“ aus. Subventionierung einzelner Produkte aus politischen Gründen ist möglich. Z.B. wurden zugelassene Bücher als Kulturgut und Propagandamittel weit unter ihren Kosten vertrieben.

 

Geld ist im Sozialismus nur eine vom Staat geschaffene Verrechnungseinheit. Man kann dafür weder Land, Arbeitskraft noch Fabriken kaufen. „Im Kapitalismus verwandelt sich Geld in Kapital und wird eine Waffe zur Ausbeutung der Arbeiter.“

 

Planung: Die gesamte Wirtschaft unterliegt einer zentralen Planung. „Beim Aufstellen des Volkswirtschaftsplans begegnen sich zwei Richtungen – von unten nach oben und von oben nach unten. Das Kollektiv jeden Betriebes entwirft die Pläne für die Entwicklung der Produktion und legt sie der Behörde vor. Das staatliche Plankomitee erarbeitet den Gesamtplan der Volkswirtschaft.“ Nach diesem Plan werden den Betrieben dann die Produktionshöhen vorgeschrieben und die Mittel und Rohstoffe zugeteilt. „Nach der Bestätigung durch die höchsten Machtorgane besitzt der Plan die Kraft eines juristischen Gesetzes, das alle verpflichtet, ihn zu erfüllen.“ Mit der Kontrolle sind mehrere Ministerien beschäftigt. Lenin: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser! 

(Hohe Kosten glaubhaft zu machen ist somit vorteilhaft. War die Produktions-menge z.B. einer Fabrik mit verschiedenen Maschinen summarisch in Tonnen vorgeschrieben, wurde das Produktionsziel dadurch erreicht dass die Maschinen übermäßig schwer gebaut wurden.)

Wirtschaftsführung:

Es gibt Rechnungsführungsvorschriften und die Auflage des Sparsam-keitsprinzips, doch werden auch Anreize gegeben, die jeweils genehmigten Plankosten zu unterschreiten. Diese Marge wird dann als Gewinn bezeichnet und sogar, bezogen auf das Betriebsvermögen, als Rentabilität .

Dieser „Gewinn“ kann in einen Betriebsfond überführt werden, der für Entwicklung sowie soziale und kulturelle Maßnahmen verwendet werden kann. (Der Anreiz, dem Staat im Plan jedes Jahr etwas vorzumachen ist somit groß. Auch bei uns bestand im Krieg und dann weiter in den Nachkriegsjahren eine amtliche Preisregelung mit Kostennachweis. Ich weiß, wovon ich rede!)

„Im Sozialismus sind die Werktätigen zu unumschränkten Besitzern aller Reichtümer des Landes geworden.“  (Aber davon haben sie nichts!). Im Jahre 1967 wurde die fünftägige Arbeitswoche bei zwei freien Tagen eingeführt.

„In der kapitalistischen Welt macht ein schlecht wirtschaftender Unternehmer unweigerlich Pleite und schießt sich vielleicht eine Kugel durch den Kopf. (Im Kommunismus  schießt wohl der Staat!) Bei uns kann es keine Pleite geben, denn alle Betriebe haben einen Besitzer -  das Volk. Aber erweist sich verbrecherische Nachlässigkeit, Misswirtschaft oder sogar Betrug am Staat, dann werden sie mit der ganzen Strenge des Gesetzes bestraft.“

(Das System erfordert einen gigantischen und ineffizient bürokratischen Planungs-  und Kontrollapparat sowie große Straflager!)

Arbeit und Entlohnung: „Im Sozialismus ist die Arbeit die einzige gesetzliche Quelle der Existenzmittel. Das sozialistische Prinzip lautet: Jeden nach seiner Leistung.

In den Betriebsordnungen sind solche Anreize wie offizieller Dank, Auszeichnung mit einer Ehrenurkunde, Verleihung des Titels Bestarbeiter, Geldprämien und Auszeichnung mit einem wertvollen Geschenk vorgesehen. Wer sich in der Arbeit besonders auszeichnet, erhält den hohen Titel eines Helden der sozialistischen Arbeit oder eines Leninpreisträgers.“

 

Dagegen werden Verletzungen der Arbeitsdisziplin wie zu spät kommen, Fernbleiben ohne triftigen Grund, vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes, Beschädigung von Werkzeug oder Material bestraft.

Der Umfang der vom Arbeiter geforderten Arbeit wird mit Hilfe der Arbeitsnormung  als Stücknorm (Stück je Schicht) oder Zeitnorm (Zeit je Stück) vorgegeben. Die Berück-sichtigung der Qualifikation der Arbeit über ein Tarifnetz erfolgt durch eine Einstufungskommission. Leiter, Ingenieure und Angestellte stehen im Zeitlohn.

 

Die bisherige Einteilung der Schaffenden in geistig und körperlich Arbeitende wird im Kommunismus als eine Ungerechtigkeit der bisherigen Klassengesellschaft angesehen. Da beide den gleichen Beitrag zum Wohl des Volkes leisten, kann keiner höhere Ansprüche stellen. (Wie sollte man das messen ? Das Dilemma kommt davon, wenn man leugnet, dass auch Arbeit nach Angebot und Nachfrage einen Marktwert hat!)

Man rechnet damit, dass mit steigender Mechanisierung die physischen Unterschiede auch immer geringer werden. „Die harmonische Vereinigung von Kopf- und Handarbeit verwandelt jede Arbeit in eine Quelle des Genusses und der Freude.“ (Klingt stark nach Verarschung!)

 

Religion ist nach Marx  „Opium für das Volk“.

„Der Marxismus beschränkt sich nicht darauf, die Religion zu verneinen. Atheist zu sein bedeutet, ein Mensch zu sein, der leidenschaftlich und unversöhnlich gegen alle Formen der Religion kämpft und unerschütterlich die wissen-schaftliche, materialistische Erklärung der Natur und des gesellschaftlichen Lebens verficht.“ (Es scheint aber ein emotionelles Bedürfnis des Menschen zu sein, das rational Unerklärbare als eine tröstliche Institution sehen zu können. Selbst das heutige Russland Putin - Medwedews beabsichtigt, wieder Religions - bzw. Ethikunterricht einzuführen.)

Breiten Raum nimmt im besagten Buch weiter die Erziehung des Menschen zum idealen Sowjetbürger ein, für den Gemeinnutz vor Eigennutz geht.

 

Ich denke jedoch, dass das gezeigte genügt um zu verstehen, warum sich der Kommunismus selbst ad absurdum führte! 

Einen Staatskommunismus in dieser Form wird sich vielleicht nicht mehr neu bilden,  aber der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts mit Staatspleiten, extremen Einkommens-unterschieden  bei progressiv wachsender, verarmter Weltbevölkerung schafft unweigerlich Gegenbewegungen. Selbst in den USA heißt es: „Occupy Wallstreet!“ Das Pendel schlägt zurück, hoffen wir, ohne das Bestehende zu zertrümmern!                                                                                             

 

Zum Abschluss noch zwei Stimmen direkt Betroffener über  das Ende des sowjet-ischen Staatskommunismus.

Anna Politkovskaja: In Putins Russland, Verlag Du Mont Köln 2004. Die russische Journalistin, in New York geboren, wurde 2oo6 unter ungeklärten Umständen ermordet.

Ihre Aussage: Das Ende des Kommunismus, der jeden Staatsbürger seine Aufgabe zuwies, war für die Leute zunächst ein Schock. Jelzins lose Hand wurde dann durch Putins „Russischen Kapitalismus“ ersetzt, der eine Mischung aus Markt und Dogma ist. Die Nomenklatura hat sich  der Betriebe bemächtigt und spielt mit der ebenfalls von ihr beherrschten korrupten Verwaltung und dem Geheimdienst zusammen. Private Unternehmen haben ohne ihr Wohlwollen keine Chance.

 

Das Buch endet mit derben Putin-Beschimpfungen.

 

Michael Schneider: Das Ende eines Jahrhundertmythos. Verlag Kiepenheuer &Witsch 1992. Der Autor hat 1974 in der DDR über Marx und Freud promoviert und lehrte Marxismus- Leninismus.

Am Zusammenbruch des kommunistischen Staates wäre nicht die Ideologie Schuld gewesen, sondern die Menschen, welche diese nicht richtig umgesetzt hätten!

Von jemanden, der im Kommunismus zu Macht und Ansehen gelangt ist, keine überraschende Einstellung.

Selbst in der Demokratie glauben viele zur Macht gekommene Politiker schnell an ihre eigene unfehlbare Übergröße. Versprechen vor der Wahl sind rasch vergessen und sie sehen dann mit Verachtung auf unzufriedene kleine Wähler: „Das übliche Gesudere…“

Schneider könnte aber insofern Recht gegeben werden, dass das unmenschliche Regime zu seiner Erhaltung vielleicht noch mehr Unmenschen benötigt hätte. Aber der KGB hatte 1985 schon über 460 000 Mitarbeiter2 und allein unter Stalin wurden 15 Millionen Menschen Opfer seiner Säuberungen.3

 

 

Linz. Im November 2011 waren es 22 Jahre, dass der Sturz der Berliner Mauer den Zusammenbruch des Ostblocks und des Kommunismus einleitete.

 

Damit schien der Sieg des kapitalistischen Wirtschaftssystems endgültig zu sein. Aber genau jetzt nach einem globalen Siegeszug stürzt dieses System die Welt in eine tiefe Krise und stellt  wieder andere Systeme zur Diskussion. Da der Kommunismus - die Alternative des 19. Jahrhunderts -  heute bei den Jüngeren im Einzelnen weitgehend unbekannt ist, wollen wir uns ein wenig näher damit befassen und den Kommunismus und seine Praxis analysieren.

 

Diese Betrachtung ist in zwei Teile zu trennen, nämlich in den grundlegenden theoretischen Teil des Karl Marx  und in die Praxis der Verwirklichung in der Sowjetunion bzw. deren Satelliten, als „real existierender Sozialismus“ in der Sprache des Marxismus – Leninismus der „Volksdemokratischen DDR“.

 

Zunächst zu Karl Marx (Trier 1818 – 1883 London) und seine Lehre.

Der Sohn des Anwalts Heinrich Marx promovierte 1841 in Jena zum Doktor der Philosophie, war dann als Redakteur und Schriftsteller tätig, musste aber aufgrund seiner aggressiven Schreibweise bald Köln und dann auch  Paris verlassen und fand in Brüssel eine längere Bleibe. 

Dort verfasste er 1848 für den in London situierten „Bund der Kommunisten“, deren Mitglied er war, das Kommunistische Manifest, das gleichzeitig mit der in Paris beginnenden Revolution herauskommt und sich wie diese europaweit verbreitet.

 

Es beginnt wie folgt:

„Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“

 

Und endet:

„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnungen. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“

 

Die Aufstände wurden bald niedergeschlagen, die zunächst erzwungenen liberalen Zugeständnisse der Mächtigen werden größtenteils zurückgenommen und Marx gilt am Kontinent als Staatsfeind Nummer Eins. Er wird aus Brüssel und Paris ausgewiesen und geht wie sein Freund und Gesinnungsgenosse Engels nach London. Dort wird er die nächsten 34 Jahre bis zu seinem Tod auch bleiben.

Mit seiner Familie lebt er mehr schlecht als recht von seiner Schreiberei und ist auf die Unterstützung durch seinen Freund und Mitstreiter angewiesen.2

 

Von seinem Hauptwerk  „Das Kapital“ erscheint der erste Band erst 1867; den zweiten und dritten Band hat Engels nach vorhandenen Unterlagen erst nach Marx`s  Tod fertig gestellt.

 

„Das Kapital“ im Original zu lesen ist eine harte Arbeit, denn abgesehen vom Umfang machen es der ausschweifende philosophische Stil des 19. Jahrhunderts und  die eigenwilligen Definitionen des Autors schwierig. Nach seiner eigenen Aussage im Vorwort  soll  das Werk keine Anklage sein, sondern  eine Analyse, 

 

welche die Ablöse des Kapitalismus durch den klas-senlosen Kommunismus und die Diktatur des Proletariats als einen natur Geschichtlichen Prozess ergibt. 

 

Wie der Staat nach dieser Ablöse funktionieren sollte, 

haben weder Marx noch Engels je ausgeführt.2

 

Von den ausführlichen philo-sophischen Überlegungen entkleidet scheinen mir die folgenden Marx´schen Thesen jene, die für die spätere prakt-ische Umsetzung von Be-deutung waren. Sie werden hier  kurz und ohne Kritik wieder-gegeben:

 

Der Wert einer Ware wird von der im gesellschaftlichem Durchschnitt in sie investierte Arbeitszeit bestimmt. Um den Gewinn  zu erhöhen, werden durch Maschinen immer weiter Arbeitskosten eingespart. Der Kapitalist hält also den Arbeiter durch Rationalisierungen stets am Existenzminimum und steckt den erhaltenen Mehrwert als seinen Gewinn ein.. Sinkende Lohnquoten führen aber zu sinkender Nachfrage, da der Arbeiter auch Konsument ist. So entstehen Krisen, was den Kapitalisten  nach immer neuen Märkten suchen lässt. Die Gewinnsucht „jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.“

 

 

Die kapitalistische Akkumulation und die zunehmende Macht der Großen führen zum Untergang der kleinen Kapitaleigner –

 

- die großen Fische fressen die kleinen! – sodass Monopole entstehen. 

Nun ist es an der Zeit für die unterste Schicht, das Proletariat, das ganze System zu sprengen. Die Dialektik „Herr – Knecht“ soll abgeschafft werden durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie. Neben dem Proletariat soll es keine andere Gesellschaftsschicht geben. „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Moral und Religion sind Nebelbildungen im Gehirn, um die Proletarier ruhig zu halten. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden.“ Marx ruft zu revolutionären Änderungen auf : „Expropriiert die Expropriateure!“

Der Ausspruch „Eigentum ist Diebstahl“ stammt jedoch von 

P.J. Proudhon (1809 – 1865), einem französischen Sozial-philosophen, mit dem Marx jedoch bestens verfeindet war.

 

Zur weltweiten Verbreitung der kommunistischen Ideen wurde die Komintern  - Kommunistische Internationale – gegründet, die von Moskau als Zentrum die Weltherrschaft vorbereiten sollte.

 

Wie erwähnt, hat Marx keine Aussagen darüber gemacht, wie der Staat nach dem Sieg des Proletariats funktionieren soll. So war es vor allem Lenin (1870 – 1924) und dann Stalin (1879 – 1973), die den praktischen Teil nach der Machtergreifung 1917 (Oktoberrevolution) in Russland organisierten.

Nichts erscheint mir daher für diese  Darstellung geeigneter  als ein russisches Handbuch über Menschenführung und Gesellschaft aus dem Jahre 1974, ins Deutsche übertragen vom DDR-Verlag Neues Leben, Berlin, unter dem Titel „Was ist Kommunismus?“


Wörtliche Zitate daraus stehen unter Anführungszeichen, eigene kritische Bemerkungen  kursiv in Klammer.

 

Ökonomische Ordnung: Für Produktionsmittel gibt es kein Privateigentum und damit keine Ausbeutung des Menschen durch Menschen. (Als ob der Staat nicht durch Menschen repräsentiert wäre!). Es besteht Arbeitspflicht für jeden. „Das gesellschaftliche Eigentum schließt die Anarchie der Produktion, Krisen und Arbeitslosigkeit aus und macht es möglich und notwendig, die Entwicklung bewusst und zielgerichtet zu planen.“

Das gesamte dem Staat allein gehörige Vermögen eines Betriebes ist den bevollmächtigten Vertretern eines Kollektivs nur zur Verwaltung überlassen, ebenso wie Wohnhäuser und Siedlungen den Bürgern. (Wir haben ja in unseren Nachbarländern gesehen, wie die dann ausgeschaut haben!).

In der Landwirtschaft gilt das gleiche für die Sowchosen, doch gibt es daneben die Kolchosen, welche als Kollektiv  am Umlaufvermögen und den Gebäuden Eigentum erwerben können.  Den Grund stellt der Staat kostenlos zur Verfügung. Nach Abfuhr der vorgeschriebenen Produktion an den Staat kann ein Teil selbst verwertet werden. (Aus früheren Kornkammern wurden Notstandsgebiete!)

 

Im Sozialismus gibt es kein Privateigentum und die Warenproduzenten handeln im Namen des gesellschaftlichen Eigentümers. Damit der Produktionsaustausch die Warenform verliert, muss man einen Überfluss an materiellen und kulturellen Gütern schaffen und die Bedürfnisse aller Menschen unentgeltlich befriedigen. So wird es im Kommunismus sein. Im Sozialismus ist die Gesellschaft zunächst noch gezwungen, die Produkte unter den Menschen nach Umfang und Qualität ihrer Arbeit zuzuteilen.“ (Das versprochene Paradies wäre demnach eine geldlose Zuteilungswirtschaft ohne individuelle Unterschiede!).

 „Der Preis der Ware soll sich maximal ihrem Wert, das heißt dem Arbeitsaufwand für ihre Produktion, annähern.“ (Eine solche Wertdefinition kann nur so lange funktionieren, als infolge Mangel an Waren und Alternativen der Käufer es akzeptieren  muss. Ansonsten bildet sich ein Schwarzmarkt oder die Ware bleibt liegen.)

Die staatliche Preisfestsetzung für eine Ware gilt im ganzen Staatsgebiet und geht vom „gesellschaftlich notwendigen Aufwand“ aus. Subventionierung einzelner Produkte aus politischen Gründen ist möglich. Z.B. wurden zugelassene Bücher als Kulturgut und Propagandamittel weit unter ihren Kosten vertrieben.

 

Geld ist im Sozialismus nur eine vom Staat geschaffene Verrechnungseinheit. Man kann dafür weder Land, Arbeitskraft noch Fabriken kaufen. „Im Kapitalismus verwandelt sich Geld in Kapital und wird eine Waffe zur Ausbeutung der Arbeiter.“

 

Planung: Die gesamte Wirtschaft unterliegt einer zentralen Planung. „Beim Aufstellen des Volkswirtschaftsplans begegnen sich zwei Richtungen – von unten nach oben und von oben nach unten. Das Kollektiv jeden Betriebes entwirft die Pläne für die Entwicklung der Produktion und legt sie der Behörde vor. Das staatliche Plankomitee erarbeitet den Gesamtplan der Volkswirtschaft.“ Nach diesem Plan werden den Betrieben dann die Produktionshöhen vorgeschrieben und die Mittel und Rohstoffe zugeteilt. „Nach der Bestätigung durch die höchsten Machtorgane besitzt der Plan die Kraft eines juristischen Gesetzes, das alle verpflichtet, ihn zu erfüllen.“ Mit der Kontrolle sind mehrere Ministerien beschäftigt. Lenin: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser! 

(Hohe Kosten glaubhaft zu machen ist somit vorteilhaft. War die Produktions-menge z.B. einer Fabrik mit verschiedenen Maschinen summarisch in Tonnen vorgeschrieben, wurde das Produktionsziel dadurch erreicht dass die Maschinen übermäßig schwer gebaut wurden.)

Wirtschaftsführung:

Es gibt Rechnungsführungsvorschriften und die Auflage des Sparsam-keitsprinzips, doch werden auch Anreize gegeben, die jeweils genehmigten Plankosten zu unterschreiten. Diese Marge wird dann als Gewinn bezeichnet und sogar, bezogen auf das Betriebsvermögen, als Rentabilität .

Dieser „Gewinn“ kann in einen Betriebsfond überführt werden, der für Entwicklung sowie soziale und kulturelle Maßnahmen verwendet werden kann. (Der Anreiz, dem Staat im Plan jedes Jahr etwas vorzumachen ist somit groß. Auch bei uns bestand im Krieg und dann weiter in den Nachkriegsjahren eine amtliche Preisregelung mit Kostennachweis. Ich weiß, wovon ich rede!)

„Im Sozialismus sind die Werktätigen zu unumschränkten Besitzern aller Reichtümer des Landes geworden.“  (Aber davon haben sie nichts!). Im Jahre 1967 wurde die fünftägige Arbeitswoche bei zwei freien Tagen eingeführt.

„In der kapitalistischen Welt macht ein schlecht wirtschaftender Unternehmer unweigerlich Pleite und schießt sich vielleicht eine Kugel durch den Kopf. (Im Kommunismus  schießt wohl der Staat!) Bei uns kann es keine Pleite geben, denn alle Betriebe haben einen Besitzer -  das Volk. Aber erweist sich verbrecherische Nachlässigkeit, Misswirtschaft oder sogar Betrug am Staat, dann werden sie mit der ganzen Strenge des Gesetzes bestraft.“

(Das System erfordert einen gigantischen und ineffizient bürokratischen Planungs-  und Kontrollapparat sowie große Straflager!)

Arbeit und Entlohnung: „Im Sozialismus ist die Arbeit die einzige gesetzliche Quelle der Existenzmittel. Das sozialistische Prinzip lautet: Jeden nach seiner Leistung.

In den Betriebsordnungen sind solche Anreize wie offizieller Dank, Auszeichnung mit einer Ehrenurkunde, Verleihung des Titels Bestarbeiter, Geldprämien und Auszeichnung mit einem wertvollen Geschenk vorgesehen. Wer sich in der Arbeit besonders auszeichnet, erhält den hohen Titel eines Helden der sozialistischen Arbeit oder eines Leninpreisträgers.“

 

Dagegen werden Verletzungen der Arbeitsdisziplin wie zu spät kommen, Fernbleiben ohne triftigen Grund, vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes, Beschädigung von Werkzeug oder Material bestraft.

Der Umfang der vom Arbeiter geforderten Arbeit wird mit Hilfe der Arbeitsnormung  als Stücknorm (Stück je Schicht) oder Zeitnorm (Zeit je Stück) vorgegeben. Die Berück-sichtigung der Qualifikation der Arbeit über ein Tarifnetz erfolgt durch eine Einstufungskommission. Leiter, Ingenieure und Angestellte stehen im Zeitlohn.

 

Die bisherige Einteilung der Schaffenden in geistig und körperlich Arbeitende wird im Kommunismus als eine Ungerechtigkeit der bisherigen Klassengesellschaft angesehen. Da beide den gleichen Beitrag zum Wohl des Volkes leisten, kann keiner höhere Ansprüche stellen. (Wie sollte man das messen ? Das Dilemma kommt davon, wenn man leugnet, dass auch Arbeit nach Angebot und Nachfrage einen Marktwert hat!)

Man rechnet damit, dass mit steigender Mechanisierung die physischen Unterschiede auch immer geringer werden. „Die harmonische Vereinigung von Kopf- und Handarbeit verwandelt jede Arbeit in eine Quelle des Genusses und der Freude.“ (Klingt stark nach Verarschung!)

 

Religion ist nach Marx  „Opium für das Volk“.

„Der Marxismus beschränkt sich nicht darauf, die Religion zu verneinen. Atheist zu sein bedeutet, ein Mensch zu sein, der leidenschaftlich und unversöhnlich gegen alle Formen der Religion kämpft und unerschütterlich die wissen-schaftliche, materialistische Erklärung der Natur und des gesellschaftlichen Lebens verficht.“ (Es scheint aber ein emotionelles Bedürfnis des Menschen zu sein, das rational Unerklärbare als eine tröstliche Institution sehen zu können. Selbst das heutige Russland Putin - Medwedews beabsichtigt, wieder Religions - bzw. Ethikunterricht einzuführen.)

Breiten Raum nimmt im besagten Buch weiter die Erziehung des Menschen zum idealen Sowjetbürger ein, für den Gemeinnutz vor Eigennutz geht.

 

Ich denke jedoch, dass das gezeigte genügt um zu verstehen, warum sich der Kommunismus selbst ad absurdum führte! 

Einen Staatskommunismus in dieser Form wird sich vielleicht nicht mehr neu bilden,  aber der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts mit Staatspleiten, extremen Einkommens-unterschieden  bei progressiv wachsender, verarmter Weltbevölkerung schafft unweigerlich Gegenbewegungen. Selbst in den USA heißt es: „Occupy Wallstreet!“ Das Pendel schlägt zurück, hoffen wir, ohne das Bestehende zu zertrümmern!                                                                                             

 

Zum Abschluss noch zwei Stimmen direkt Betroffener über  das Ende des sowjet-ischen Staatskommunismus.

Anna Politkovskaja: In Putins Russland, Verlag Du Mont Köln 2004. Die russische Journalistin, in New York geboren, wurde 2oo6 unter ungeklärten Umständen ermordet.

Ihre Aussage: Das Ende des Kommunismus, der jeden Staatsbürger seine Aufgabe zuwies, war für die Leute zunächst ein Schock. Jelzins lose Hand wurde dann durch Putins „Russischen Kapitalismus“ ersetzt, der eine Mischung aus Markt und Dogma ist. Die Nomenklatura hat sich  der Betriebe bemächtigt und spielt mit der ebenfalls von ihr beherrschten korrupten Verwaltung und dem Geheimdienst zusammen. Private Unternehmen haben ohne ihr Wohlwollen keine Chance.

 

Das Buch endet mit derben Putin-Beschimpfungen.

 

Michael Schneider: Das Ende eines Jahrhundertmythos. Verlag Kiepenheuer &Witsch 1992. Der Autor hat 1974 in der DDR über Marx und Freud promoviert und lehrte Marxismus- Leninismus.

Am Zusammenbruch des kommunistischen Staates wäre nicht die Ideologie Schuld gewesen, sondern die Menschen, welche diese nicht richtig umgesetzt hätten!

Von jemanden, der im Kommunismus zu Macht und Ansehen gelangt ist, keine überraschende Einstellung.

Selbst in der Demokratie glauben viele zur Macht gekommene Politiker schnell an ihre eigene unfehlbare Übergröße. Versprechen vor der Wahl sind rasch vergessen und sie sehen dann mit Verachtung auf unzufriedene kleine Wähler: „Das übliche Gesudere…“

Schneider könnte aber insofern Recht gegeben werden, dass das unmenschliche Regime zu seiner Erhaltung vielleicht noch mehr Unmenschen benötigt hätte. Aber der KGB hatte 1985 schon über 460 000 Mitarbeiter2 und allein unter Stalin wurden 15 Millionen Menschen Opfer seiner Säuberungen.3

 



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