Kinderarmut und Gewalt sind traurige Realität

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Foto:Land Tirol/Sidon
19 Nov 08:00 2019 von Redaktion Salzburg Print This Article

Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention bleibt dauerhafte Aufgabe

Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes – kurz UN-Kinderrechtekonvention – wurde vor 30 Jahren, am 20. November 1989 von den Vereinten Nationen angenommen. Die Kinderrechtekonvention enthält wesentliche Standards zum Schutz der Kinder und wurde von Österreich als einem der ersten Staaten ratifiziert und trat 1992 in Kraft. „Liest man sich die UN-Kinderrechtekonvention durch, so scheint auf den ersten Blick vieles selbstverständlich. „Doch bei genauerem Hinsehen gibt es in der Umsetzung der Kinderrechte auch in Tirol einiges zu tun“, stellt LRin Gabriele Fischer, zuständig für die Kinder- und Jugendhilfe des Landes, klar. Dies fange schon bei Kleinigkeiten wie dem „Ballspielen verboten-Schild“ an und reiche bis zu Kinderarmut und Gewalt gegen Kinder.

„Laut Artikel 27 der Kinderrechtekonvention hat jedes Kind ein ‚Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard‘“, zitiert LRin Fischer aus der Kinderrechtekonvention. Je früher, je schutzloser und je länger Kinder der Armutssituation ausgesetzt sind, desto stärker die Auswirkungen, betont die Landesrätin.

In Tirol sind 6.010 Kinder von Armut betroffen und werden im Rahmen der Mindestsicherung vonseiten des Landes unterstützt. „Diese Kinder wachsen in einkommensarmen Familien auf, was sich auf sämtliche Lebensbereiche des Kindes auswirkt. Das Tiroler Modell der Mindestsicherung dient der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, der Überwindung von Notlagen und der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens“, erklärt LRin Fischer.

Armut für betroffene Kinder in allen Lebenslagen spürbar

Armut bedeute Ausgrenzung, betont Elisabeth Harasser, Kinder- und Jugendanwältin für Tirol: „Von Armut betroffene Kinder spüren die soziale Ungleichheit in all ihren Facetten und erleben erhebliche Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen“. Viele seien einer permanenten Stresssituation ausgesetzt, um ihre Armut zu kaschieren und sich nicht für ihre Lebensumstände genieren zu müssen, berichtet Harasser aus ihrer Beratungspraxis. „Sie laden – weil sie sich schämen – keine Freunde nach Hause ein und erhalten im Gegenzug natürlich auch keine Einladung. Geld für Kino, Konzerte, Sport- und Freizeitaktivitäten ist nicht vorhanden, ebenso wenig für kostenpflichtige Schulveranstaltungen“.
Doch Armut mache nicht nur einsam, sondern auch krank. „Es werden vorwiegend billige Lebensmittel und ungesundes Essen konsumiert. Durch die schlechte Ernährung kann es neben allen anderen negativen gesundheitlichen Auswirkungen auch zu Entwicklungsverzögerungen kommen. Wenig sportliche Aktivitäten erhöhen das Risiko von Übergewicht“, zählt Harasser auf.
Nicht zuletzt würden auch die Bildungschancen in großem Maße von der sozialen Herkunft abhängen: „Eltern lesen ihren Kindern beispielsweise nie aus Büchern vor, es gibt keine kulturellen Aktivitäten“. Außerdem können Eltern mit niedriger formaler Bildung ihre Kinder meist nicht selbst bei den Hausaufgaben unterstützen, undNachhilfe können sie sich nicht leisten. „Die Kinder haben kein eigenes Zimmer, keinen Platz, um in Ruhe Hausaufgaben zu machen oder zu lernen. Darunter leiden natürlich die schulischen Erfolge“, weiß Harasser. „Das Schlimmste daran ist, dass aufgrund von Armut Kinder und Jugendliche daran gehindert werden, ihre Potenziale und Talente zu entfalten“, stellt LRin Fischer klar.

Kinderarmut widerspreche daher gleich mehreren von Österreich ratifizierten Kinderrechten: Das Recht auf soziale Sicherheit, auf Anerkennung eines angemessenen Lebensstandards, auf Gesundheit, auf Freizeit, Spiel, altersgemäße Erholung, sowie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben, resümiert Harasser.

Recht auf gewaltfreie Kindheit

Armut kann aber auch gewaltfördernd sein: „Gewalt kann auch Ausdruck von Überforderung sein und durch eine finanziell angespannte Situation ausgelöst werden“, betont LRin Fischer. „Die Doppelbelastung durch Beruf und Kindererziehung, eine unsichere Arbeitssituation verbunden mit fehlenden finanziellen Mitteln erhöhen den Druck auf die Eltern. Es gibt kaum noch innerfamiliäre Netzwerke, die zur Entlastung zur Verfügung stehen würden“, schildert die Kinder- und Jugendanwältin für Tirol Situationen, die in häuslicher Gewalt oder in Gewalt in der Erziehung münden.

Das Recht auf eine gewaltfreie Kindheit wurde 2011 sogar in Verfassungsrang gehoben und verbietet körperliche Bestrafungen, die Zufügung seelischen Leides, sexuellen Missbrauch und andere Misshandlungen.

„Mit einer besonders schweren Form der Gewalt sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kinderschutz befasst: die österreichischen Kinderschutzzentren gehen davon aus, dass jedes 10. Kind im Laufe seiner Kindheit und Jugend zumindest einmal die Erfahrung einer sexuellen Bedrängnis oder eines Übergriffs gemacht hat“, berichtet Petra Sansone, Geschäftsführerin der Tiroler Kinder und Jugend GmbH. Von den insgesamt 7.233 Beratungen durch die Tiroler KinderschützerInnen im Jahr 2018 war bei 4.129 sexualisierte Gewalt der Anlassfall. Bei den betroffenen 545 Minderjährigen wurde als erster Schritt versucht, den äußeren Schutz herzustellen, bevor die Aufarbeitung der Traumatisierung begonnen wurde. „Dies bedeutet mehr als eine Verdoppelung der Klientinnen und Klienten im Vergleich zum Jahr 2015“, so Sansone, weist aber darauf hin, dass diese Steigerung sicherlich auch auf eine Erweiterung des Angebots und zunehmende Sensibilisierungsarbeit zurückzuführen ist.
Ein weiteres neu hinzugekommendes und ebenso wichtiges Angebot der Tiroler Kinder und Jugend GmbH ist die Aufarbeitung und Stärkung von Kindern in Kindergruppen, die zuhause direkt und indirekt von Gewalt betroffenen sind.
„Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass die Folgen von erlebter Ausgrenzung und Mobbing in der Schule im Erwachsenenalter ähnlich alarmierend sind, wie jene von sexueller und physischer Gewalt“, betont Sansone. 7.807 Beratungen wurden tirolweit von SchulsozialarbeiterInnen im vergangenen Schuljahr durchgeführt. Bei zahlreichen der 6.578 Gespräche mit SchülerInnen ging es um Gewalterfahrungen, wie eskalierende Konflikte in der Schule oder im Freundeskreis oder Mobbing. Als Präventions- oder Interventionsmaßnahme widmeten sich tirolweit Schulsozialarbeiterinnen in insgesamt 1.201 Einheiten den Themen Kinderrechte, Umgang mit neuen Medien, Jugendschutz, Konsum, Gewalt sowie Sexualität.

Projekte zur Selbstermächtigung

Um Kinder über ihre Rechte aufzuklären, aber ihnen auch Strategien zur Selbstermächtigung zu vermitteln, sind die Kinder- und Jugendanwaltschaft in Kindergärten und Schulen und die Tiroler Kinder und Jugend GmbH in Volksschulen unterwegs, um wichtige Sensibilisierungsarbeit unter den Jüngsten zu betreiben. „Wir führen Workshops in Kindergärten und Schulen in ganz Tirol durch. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch einfordern“, betont Kinder- und Jugendanwältin Harasser. „Beim Projekt ‚Bärenstark‘ lernen Kinder spielerisch, wie sie sich vor Gewalt schützen. Mädchen und Buben werden dabei unterstützt, Grenzen zu setzen, Entscheidungen zu treffen und ‚Nein‘ zu sagen. Gleichzeitig ermutigen wir sie, über Probleme zu sprechen und – wenn nötig – Hilfe zu holen“, berichtet Sansone.

„Kinder zu schützen, sie zu fördern und ihnen die Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen – das bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Mit gesetzlichen Regelwerken wie dem Gewaltverbot in der Erziehung, aber auch mit ganz viel Sensibilisierungsarbeit müssen die Kinderrechte immer wieder ins Gedächtnis gerufen und infolge natürlich auch gelebt werden – Tag für Tag“, betont LRin Fischer abschließend.


Quelle: Land Tirol



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