vonOTS
NOVEMBER 17, 2021
Wien (OTS) - Ab heute setzt der im Austria Center Vienna stattfindende Jugend-am-Werk-Kongress ein besonderes Zeichen: Erstmalig wird dieser nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern auch von Menschen mit Lernschwierigkeiten durchgeführt. Dabei geht es um so wichtige Themen wie Mit- und Selbstbestimmung sowie die noch bessere Etablierung und Vernetzung von Selbstvertreter:innen.
„Jeder Mensch hat, auch gemäß der UN-Menschenrechtskonvention, das Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft. Jeder Einzelne von uns ist daher gefordert, seinen Beitrag zu leisten, allen Menschen, diese Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen,“ so Mag.a Brigitte Gottschall-Müller, Geschäftsführerin von Jugend am Werk.
Selbstvertreter:innen setzen mit Kongress ein besonderes Zeichen
Sogenannte Selbstvertreter:innen sind im gesamten Prozess des Willensausdrucks besonders wichtig. Sie haben gelernt, nicht nur ihre persönlichen Interessen, sondern die allgemeinen Interessen Gleichgesinnter – wie ihrer Wohngruppe, Werkstätte oder Gruppe zu vertreten. „Für uns sind diese Selbstvertreter:innen daher sehr stark mit Betriebsräten vergleichbar, die dann schon eine große Verantwortung für die Menschen, die sie gewählt haben, tragen und hier auch sehr professionelle Arbeit leisten“, erklärt Gottschall-Müller. Sie ist daher sehr stolz, dass mit dem Jugend-am-Werk-Kongress nun ein Kongress von Selbstvertreter:innen von Menschen mit Lernschwierigkeiten für Menschen mit Lernschwierigkeiten organisiert wird. Jugend am Werk unterstützt zwar in der Ideenfindung, Grundorganisation und Finanzierung des Kongresses, das Herzstück des Kongresses kommt jedoch von den Selbstvertreter:innen. Sie bringen die Themen ein, die für ihre Gruppen wichtig sind, vernetzen sich mit Selbstvertreter:innen im In-und Ausland und lernen gemeinsam, wie sie sich weiterentwickeln können. So thematisiert der Kongress nicht nur Mit- und Selbstbestimmung an sich, sondern wird selbst ein Musterbeispiel, wie Menschen mit Lernschwierigkeiten ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.
Hilfe bei Lernschwierigkeiten als Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe
Der Weg dorthin war ein großer Prozess der Emanzipation der Menschen mit Lernschwierigkeiten. Dabei ist bereits die Begrifflichkeit wichtig, denn mit „Lernschwierigkeiten“ ist bewusst ein sehr offener, inklusiver Begriff gewählt, der keine medizinische Diagnose braucht und eine große Gruppe an Menschen anspricht,“ betont Gottschall-Müller. So können nicht nur Menschen mit körperlichen oder intellektuellen Beeinträchtigungen Lernschwierigkeiten haben, sondern viele andere Menschen auch. Bereits eine kleine Leseschwäche ist eine Lernschwierigkeit. In einem ersten Schritt merken oft die Eltern oder das Schulsystem, wenn Kinder Unterstützung beim Lernen brauchen. Damit Jugendliche mit Lernschwierigkeiten auch nach Beendigung des offiziellen Pflichtschulalterns nicht aus dem System fallen, wurden spezielle Projekte entwickelt, die diesen Jugendlichen niederschwellige Nachreifungsangebote bieten.
Zielvereinbarung – erste Schritte zur Mit- und Selbstbestimmung
All diese Projekte arbeiten mit einem ressourcenorientierten Ansatz, sehen sich an, welches Potenzial da ist, wohin der junge Mensch will und wie dieser am besten zur Erreichung der persönlichen Ziele unterstützt werden kann. Viele Jugendliche mit Lernschwierigkeiten nutzen sogenannte Nachreifungsangebote, die ihnen in einem individuellen Setting helfen, Kulturtechniken wie Mathematik, Deutsch und sinnerfassendes Lesen zu erlernen, berufliche Ausbildungen ermöglichen und sie dabei unterstützen ihren individuellen Weg zu finden. Da die individuelle Ziel- und Lebensplanung sehr unterschiedlich sein kann, werden mit den Jugendlichen eigene Zielvereinbarungen getroffen, die auch ein wesentlicher Schritt zur Mit- und Selbstbestimmung sind. Die einen finden so ihren Weg auf den Arbeitsmarkt, die andere ihren Weg in eine Werkstätte, die Menschen mit Lernschwierigkeiten eine Tagesstruktur bietet. Auch für Erwachsene mit Lernschwierigkeiten gibt es Projekte, die nach einem ähnlichen Schema helfen, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen.
Warum Mit- und Selbstbestimmung so wichtig ist
All diese Menschen brauchen Unterstützung, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Ganz wesentlich ist hier der Einsatz von einfacher Sprache, die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes und die Etablierung von Selbstvertreter:innen. „Mit- und Selbstbestimmung ist wichtig, denn auch wenn diese Menschen Unterstützung brauchen, haben sie ein Recht auf eigene Entscheidungen, die sie und ihr Leben betreffen. Das wurde ihnen leider in der Vergangenheit häufig abgesprochen. Daher ist es umso wichtiger, dies zu betonen,“ so Gottschall-Müller.
Selbstvertreter:innen als Sprachrohr für Menschen mit Lernschwierigkeiten
Selbstvertreter:innen geben den Anliegen der Menschen mit Lernschwierigkeiten eine eigene Stimme und so die Möglichkeit, Themen, die ihnen wichtig sind anzusprechen, anzugehen und Wirklichkeit werden zu lassen. Beispielsweise war das Leben in einer Wohngemeinschaft lange an die aktive Tätigkeit in einer Werkstätte gebunden. In Wien haben Selbstvertreter:innen erreicht, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten ab 60 die Wahlfreiheit haben, auch in „Pension“ gehen zu dürfen, ohne deshalb ihren Platz in der Wohngemeinschaft zu verlieren. Der Kongress zur Mit- und Selbstbestimmung, der ab heute bis 18. November läuft, ist ein weiterer großer Schritt für die Emanzipierung von Menschen mit Lernschwierigkeiten und wird hoffentlich weitere Meilensteine zur Teilhabe an der Gesellschaft initiieren.
Über die IAKW-AG
Die IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 19 Sälen, 180 Meetingräumen sowie rund 26.000 m2 Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen. www.acv.at
Quelle: OTS