Hermann Hesse in Linz?

21 Dez 23:36 2014 von Oswald Schwarzl Print This Article

Eine virtuelle Begegnung mit dem Dichter

Nach seiner Biografie ist anzunehmen, dass der 1877 geborene Hermann Hesse nie in Linz war. Aber ich bin ihm hier erstmals begegnet. Nicht ihm persönlich, aber einem Zipfel seiner Werke.

Hermann Hesse / REGIONEWS wikipedia

Es war kurz nach dem Krieg  in Linz. Im Feuilleton einer Linzer Tageszeitung stand eine besinnliche Kurzgeschichte, die mich Achtzehnjährigen außergewöhnlich beeindruckte und die mit dem mir bis dahin unbekannten Namen Hermann Hesse gezeichnet war. Obwohl ich seit Jahren ein eifriger Leser von allem gewesen war, was mir unterkam und eifrig die Studienbibliothek am Schillerplatz besuchte, die damals auch eine Art Volksbücherei war, stand der Name Hesse im eben abgelaufenen Nationalsozialismus nicht unter den verfügbaren Autoren.

 

Das besagte Essay begann mit: „Jetzt blühen wahrhaftig schon die Linden wieder,…“ und erzählte über die Lindenblütenpflückerinnen, welche diese Gabe des Sommers für kalte Winterabende aufbewahren, von den im Duft der unter den Linden lustwandelnden und in sich selbst verlorenen Liebespaaren und von dem jungen Wanderer, der vorbeigeht und nichts begehrt, noch wo bleiben möchte und den der Dichter um seine Leichtigkeit beneidet, fühlt er sich doch selbst schon diesem Alter entwachsen, ohne schon eine neue Basis gefunden zu haben.


Statue Hermann Hesse / REGIONEWS

Die Geschichte passte so recht in das Gemüt eines Achtzehnjährigen, den man als halbes Kind noch 1945  in den Krieg und in  Gefangenschaft geschickt hatte und der nun - mit mehr Erfahrung und Lebenslust als in normalen Zeiten  - in seine Zukunft sah.

Ich hatte mich dann auch für die anderen Werke Hesses interessiert und so war ich nicht überrascht, dass er  kurze Zeit später den Nobelpreis für Literatur erhielt.

 

Dieses Essay von damals habe ich in den nachfolgenden Jahrzehnten nie vergessen und gerne hätte ich es noch einmal mit den Augen des Alters gelesen, habe es aber nie mehr gefunden. Den Titel hatte ich vergessen, aber den Beginn wörtlich behalten.

 

Erst meine damals noch  studierende Germanistik- Enkelin, an deren Interesse für Sprache und Literatur ich vielleicht einen kleinen Anteil habe, hat  mir die kleine Geschichte dann unter dem Titel „Lindenblüte“ in einem Sammelband von Suhrkamp in der Linzer Studienbibliothek  entdeckt und so habe ich den Hermann Hesse meiner Jugend nach sechzig Jahren zum zweiten mal in dieser Erzählung in Linz getroffen.

Wieder lese ich die Geschichte, die mich damals so berührt hat und empfinde noch einmal das Drängen der Jugend, die Welt kennen zulernen und den Weg zunächst ohne Ziel zu gehen, nirgends Wurzel schlagen zu wollen, weil noch soviel Unbekanntes auf einem wartet, wie Hesse das so unnachahmlich schildert. Er selbst war bei Abfassung dieses Essays aber dieser Lebensphase eben entwachsen und wieder auf der Suche ]Daher schließt seine Geschichte wie folgt:


Hesse, Purrmann, Böhmer“, Tuschzeichnung von Gunter Böhmer, 1956 / REGIONEWS wikipedia
„Die Lindenblüten duften, und Wanderburschen, Sammelweiber, Kinder und Liebespaare scheinen alle einem Gesetz zu gehorchen und wohl zu wissen, was sie zu tun haben. Nur ich weiß nicht, was ich zu tun habe. Ich weiß nur: weder die rechenschaftslose Seligkeit  der spielenden Kinder noch das gleichmütige Vorübergehen der Wanderer, weder die dumpfe Trunkenheit der Liebesleute noch der sorgliche Sammelsinn der Blütenpflückerinnen ist mir beschieden. Beschieden ist mir, der Stimme des Lebens zu folgen, die in mir ruft, ihr zu folgen, auch wenn ich ihren Sinn und ihr Ziel nicht zu erkennen vermag und auch wenn sie mich immer mehr von der fröhlichen Straße hinweg in das Dunkle und Ungewisse führen will.“

Schreibmaschine von Hermann Hesse / REGIONEWS wikipedia

Den Dichter hat sein Weg, der ihm noch so dunkel und ungewiss erschien, ins Licht und zum Erfolg geführt, ist er doch konsequent seinem Gefühl gefolgt und damit ist aus dem so unsicher scheinenden Ende seines Essays  eine Erfolgsgeschichte geworden.

Somit glaube ich, diesen seit 1906 offen gebliebenen Schluss der Geschichte Hermann Hesses – und in ihrem Schatten meine eigene – noch zu einem guten Ende geführt zu haben.


Mit diesem Beitrag beende ich nach drei Jahren auf eigenem Wunsch meine Feuilleton -  Artikelserie und darf mich von den Lesern der
Regionews  verabschieden.
Ich  hoffe, dass es mir öfters  gelungen ist, vorwiegend Wissenswertes kritisch durchleuchtet und ohne tierischen Ernst  gut lesbar darzustellen.
 
Ihr Erich Leitner


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