„Niemals Nummer. Immer Mensch.“: Mehr als 9.000 Menschen gedenken der Befreiung des KZ Mauthausen

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„Niemals Nummer. Immer Mensch.“: Mehr als 9.000 Menschen gedenken der Befreiung des KZ Mauthausen
Foto: MKÖ/Jacqueline Godany
06 Mai 11:00 2019 von OTS Print This Article

Wien (OTS) - Gemeinsam mit den Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers haben heute mehr als 9.000 Menschen trotz winterlicher Temperaturen an der internationalen Befreiungsfeier der KZ-Gedenkstätte Mauthausen teilgenommen. Der gemeinsame Auszug aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ehemaligen Konzentrationslager gilt als symbolischer Akt der Solidarität und als Erinnerung an die Befreiung am 5. Mai 1945. Österreichweit gibt es mehr als 100 Gedenkfeiern mit dem Schwerpunktthema „Niemals Nummer. Immer Mensch.“.

Anlässlich der internationalen Gedenk- und Befreiungsfeier des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen erinnerten mehr als 9.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem In- und Ausland gemeinsam mit den Überlebenden an die Gräueltaten des NS-Terrors und gedachten zum 74. Mal der Befreiung der Häftlinge. An den Orten ehemaliger Außenlager finden österreichweit mehr als 100 Gedenkfeiern statt. Das Gedenken in Mauthausen ist weltweit das größte mit Kranzniederlegungen und Delegationen aus mehr als 100 Ländern, die in ihren Landessprachen begrüßt werden. Das diesjährige Gedenken widmet sich dem Schwerpunktthema „Niemals Nummer. Immer Mensch.“ und setzt ein Zeichen gegen die grausame Ideologie des Entzugs der Menschenwürde und der Individualität. Zu den Gedenkfeiern lädt seit Jahrzehnten das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) in enger Zusammenarbeit mit der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen (ÖLM) und dem Comité International de Mauthausen (CIM).

Diesjähriges Schwerpunktthema „Niemals Nummer. Immer Mensch.“ Im Zuge der namentlichen Erfassung der Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen wurden den Häftlingen ihre Eigennamen geraubt. Nach einer grausamen Prozedur, begleitet von Einschüchterungen, Drohungen, Schikanen und Stockschlägen durch SS-Angehörige und Funktionshäftlinge, waren die Häftlinge, die diese und weitere Gewaltexzesse überlebten, nur mehr eine „Nummer“, unter der sie sich auszuweisen hatten. Das diesjährige Schwerpunktthema „Niemals Nummer. Immer Mensch.“ erinnert daran, wie Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus kategorisiert und nummeriert wurden und gibt den Menschen ihre Namen zurück, indem es Einzelschicksale der verfolgten und ermordeten Menschen in den Vordergrund stellt.

Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich, ruft angesichts der Aktualität des diesjährigen Schwerpunktthemas zu Solidarität und Menschlichkeit auf: „Wir sehen das Wiedererstarken von Gruppierungen, die Identität zum Thema machen, die Entindividualisierung und Entsolidarisierung vorantreiben und die die Gesellschaft bewusst spalten wollen. Es liegt an uns, sich der Menschenverachtung entgegenzustellen und die Menschenwürde von uns allen zu verteidigen.“

Das Mauthausen Komitee Österreich erinnert an die Opfer des NS-Terrors und deren Namen, indem die Einzelschicksale zahlreicher Häftlinge des KZ Mauthausen und aus den Außenlagern in ganz Österreich aufgearbeitet und über die sozialen Medien sowie auf der Website des MKÖ an deren Schicksal und vor allem an deren Menschsein erinnert wird.

Seit 2006 widmen sich die Gedenk- und Befreiungsfeiern jedes Jahr einem speziellen Thema, das zur Geschichte des KZ Mauthausen bzw. zur NS-Vergangenheit Österreichs in Beziehung steht. Der Gegenwartsbezug bildet bei jedem Jahresthema einen essentiellen Bestandteil und soll vor allem für junge Menschen einen Bezug zu ihrer Erfahrungswelt herstellen.

Delegationen aus mehr als 100 Ländern An der Gedenk- und Befreiungsfeier nehmen jährlich zehntausende Menschen aus Europa und der ganzen Welt teil, darunter die letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen und seiner Außenlager sowie zahlreiche Jugendliche aus Österreich und der ganzen Welt. Weit über 90 Prozent der Opfer waren weder Deutsche noch Österreicher, weshalb das Gedenken an die Opfer des Konzentrationslagers Mauthausen und seiner Außenlager einen besonderen internationalen Stellenwert hat.

Die diesjährige Gedenkfeier in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen begann mit Gedenkfeiern bei den nationalen Denkmälern. Am Morgen gab es auch eine Protestaktion der Präsidenten internationaler Lagerkomitees, die auf die Sperrung der „Todesstiege“ und des Steinbruchs durch den jüngsten Umbau aufmerksam machten. Auf der „Todesstiege“ im Steinbruch wurden tausende Häftlinge in den grausamen Tod getrieben, sie gilt international als eine der wichtigsten Erinnerungsstätten, die durch den Umbau eine Trivialisierung erfuhr.

Unter der musikalischen Begleitung von „Musica Viva“, dem Chor der Pfarre Mauthausen, traten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum ökumenischen Wortgottesdienst unter der Leitung von Alfred Hochedlinger zusammen. Der Gottesdienst wurde von Diözesanbischof Dr. Manfred Schauer, von Bischof Dr. Michael Bünker und von Metropolit Dr. Arsenios Kardamakis gehalten. Auf das gemeinsame Andenken der Religionen folgte die Internationale Jugendgedenkfeier und die geordnete Aufstellung der Jugendorganisationen sowie der großen italienischen Delegation am ehemaligen Appellplatz.

Die gemeinsame Befreiungsfeier auf dem ehemaligen Appellplatz begann mit der Verlesung des Mauthausen Schwurs, den die ehemaligen Häftlinge wenige Tage nach der Befreiung verfassten. Der Schwur wird traditionell in mehreren Sprachen verlesen – ein symbolischer Akt an einem Ort, an dem Deutsch die einzig erlaubte Sprache war und die Benützung der eigenen Sprachen verboten und verfolgt wurde.

Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich, richtete seine Begrüßungsworte an die tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer, insbesondere an die KZ-Überlebenden und an die zahlreichen anwesenden Jugendlichen. Im Rahmen der gemeinsamen Befreiungsfeier erfolgten die Kranzniederlegungen, unter anderem durch mehr als 100 Delegationen. Während der Kranzniederlegung sprachen Vertreterinnen und Vertreter der nationalen Opferorganisationen der Länder Weißrussland, Luxemburg, Slowenien und Österreich in den jeweiligen Landessprachen. Durch das Programm führten mehrsprachig die beiden Schauspielerinnen Konstanze Breitebner und Mercedes Echerer, die musikalische Gestaltung kam vom Ensemble „Widerstand“ und der „Militärmusik OÖ“.

Den Höhepunkt der Gedenk- und Befreiungsfeier im ehemaligen KZ Mauthausen bildet der gemeinsame Auszug aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende der Feierlichkeit. Ähnlich der ersten Befreiungsfeiern der KZ-Überlebenden aus dem ehemaligen „Schutzhaftlager“ wird mit dem Auszug die Befreiung der KZ-Inhaftierten im Jahr 1945 symbolisiert. Auch dieses Jahr wurde die Spitze des Auszugs aus Mauthausen von den KZ-Überlebenden, u. a. Shaul Spielmann, Ed Mosberg, Anna Hackl, Ewgenij Hrol, György Frisch, Stanislaw Zalewski, Jan Wojciech, Lucjan Miller und Ryszard Sempka, gemeinsam mit US-Soldaten der amerikanischen Botschaft sowie Schülerinnen und Schülern der NMS Mauthausen gebildet.

Bei der weltweit größten Gedenk- und Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen gedachten tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Opfer des NS-Terrors und setzten damit ein beeindruckendes Zeichen für ein „Niemals wieder“.

Statements österreichischer Spitzenpolitiker

Bundespräsident Alexander Van der Bellen „Anlässlich der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen erinnern wir an die Schicksale der Menschen, die dem NS-Terror zum Opfer gefallen sind. Mit Fassungslosigkeit und Trauer blicken wir auf dieses Symbol der Menschenverachtung, Gewalt und Intoleranz und gedenken dem unfassbaren Leid der Menschen. „Niemals Nummer. Immer Mensch.“ ist ein Aufruf an uns alle, sich für Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und für eine freie, demokratische Gesellschaft einzusetzen.“

Präsident des Nationalrates Wolfgang Sobotka „Wir tragen die Verantwortung, dass Abgrenzung und Ausgrenzung nicht noch einmal die Oberhand in unserer Gesellschaft gewinnen. Bildung und Erziehung haben sich als wirksames Gegenmittel zu Rassismus und Antisemitismus erwiesen. Antisemitismus geht uns alle an.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz „Am 5. Mai 1945 wurde das Konzentrationslager Mauthausen befreit. Auch heute, 74 Jahre später, erinnern wir uns an die damals verübten Verbrechen und gedenken insbesondere den rund 66.000 Jüdinnen und Juden aus Österreich, die in der Shoah ermordet wurden. Österreich hat eine besondere historische Verantwortung, jüdisches Leben in unserem Land aktiv zu unterstützen und gegen jede Form des Antisemitismus anzukämpfen. Denn nur, wenn Juden uneingeschränkt in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können, kann aus einem „Niemals vergessen“ ein „Nie mehr wieder“ werden.“

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Heinz Faßmann „Wir brauchen Zusammenhalt, Toleranz und gegenseitigen Respekt, um den gesellschaftlichen Frieden in Europa zu wahren. Die Gedenk- und Befreiungsfeier in Mauthause erinnert uns jährlich neu an unsere Verantwortung. Es braucht eine starke und lebendige Erinnerungskultur, um wachsam zu bleiben und um sicherzustellen, dass sich die Schrecken des Nationalsozialismus nie wiederholen. An unseren Schulen ist eine aktive Erinnerungspolitik deshalb integrativer Bestandteil schulischer Bildung.“

Stadtrat für Bildung und Integration Jürgen Czernohorszky „Hinter den Millionen Ermordeten stecken Menschen, die die gleichen Hoffnungen und Wünsche wie wir hatten. Menschen, die ihre Kinder sorglos aufwachsen, gemeinsam mit ihren Liebsten alt werden und ein friedliches Leben führen wollten.“

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda „Die Opfer des Nationalsozialismus sind uns eine Mahnung für die Gegenwart und für die Zukunft. Wir müssen stets wachsam sein und dürfen niemals vergessen, zu welchen Gräueln Hass und Hetze führen können. Umso wichtiger ist es, entschlossen gegen jede Form des Antisemitismus, des Rassismus und des Rechtsextremismus aufzutreten und faschistisches Gedankengut von Grund auf zu bekämpfen. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität sind die Säulen unserer Demokratie – diese gilt es im Sinne eines gelebten Antifaschismus zu verteidigen.“

SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner „Der Nationalsozialismus kam nicht über Nacht, sondern in vielen kleinen Schritten. Die Grenzen des politischen und menschlichen Anstandes wurden jeden Tag aufs Neue überschritten, verschoben und damit täglich neu gesetzt. An solche Grenzüberschreitungen kann und darf sich die Politik und die Gesellschaft niemals gewöhnen, denn die größte Bedrohung ist die schrittweise Gewöhnung an solche Überschreitungen. Wenn wir uns heute an diesem Ort zusammengefunden haben, dann ist dies nicht nur ein Zeichen unserer Ehrerbietung an alle Opfer des Antisemitismus und des Nationalsozialismus, sondern auch ein Zeichen: Als Gesellschaft übernehmen wir die Verantwortung dafür, dass dies nie wieder geschehen darf. Nie wieder.“

Über das Mauthausen Komitee Österreich: Die Überlebenden des KZ-Mauthausen übergaben im Jahr 2000 dem Mauthausen Komitee Österreich offiziell ihr Vermächtnis. Dieses Vermächtnis der KZ-Überlebenden bildet die Grundlage der Aktivitäten des MKÖ. Neben der Gedenkarbeit für die Opfer der Verbrechen des NS-Regimes, insbesondere jene, die im KZ-Mauthausen und in den Außenlagern gefangen gehalten wurden, sind Aktivitäten gegen Rechtsextremismus sowie die engagierte anti-faschistische und anti-rassistische Arbeit vor allem mit jungen Menschen weitere wichtige Schwerpunkte. In den vergangenen Jahren führte das MKÖ mit mehr als 100.000 Jugendlichen Zivilcourage-Trainings, Begleitungen durch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen sowie an Orten ehemaliger Außenlager, die Vor- und Nachbereitung der KZ-Gedenkstättenbesuche, Anti-Rassismus-Workshops wie den Workshop "Wir sind alle" sowie die neuen thematischen Rundgänge "denk mal wien" sowie diverse anlass-und themenbezogene Jugendprojekte durch.


Quelle: OTS



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