Tschernobyl ist im Gedächtnis – und noch messbar

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Foto: Land Salzburg/Franz Neumayr
15 Sep 18:00 2019 von Redaktion Salzburg Print This Article

Reportage aus dem radiologischen Messlabor des Landes an der Uni / Einzigartige Einrichtung in Österreich

(LK) Es sieht zunächst aus wie gemütliche Gartenarbeit: Mit einer Blumenschere schneidet ein Mann mit Handschuhen ein Büschel Gras. Aber was dann passiert, lässt den Ernst der Sache erkennen: In diesem Büschel Gras befinden sich messbare Spuren von Cäsium, einem radioaktiven Element. Noch immer Nachwehen des Reaktorunfalls in Tschernobyl 1986.

Wir befinden uns im RMLS, im radiologischen Messlabor des Landes an der Universität Salzburg: Die Grasprobe wird getrocknet und kommt in den Gammastrahlen-Spektrometer – ein hochsensibles Gerät, das auch 30 Jahre nach Tschernobyl noch radioaktive Strahlung nachweisen kann.

Stöckl: „Aktuelle Entwicklungen im Auge behalten“

Dass Salzburg vom radioaktiven Niederschlag aus dem Reaktorunfall am 26. April 1986 viel abbekommen hat, ist erwiesen. „Daher ist es mir besonders wichtig, dass wir die Lage und Entwicklung in langen und ununterbrochenen Messreihen im Auge behalten und wir auch für die Zukunft gerüstet sind, zumal Österreich von vielen Atomkraftwerken umgeben ist“, betont Gesundheitsreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl beim Besuch im radiologischen Messlabor.

Halbwertszeit des Vergessens

Die Messung beschränkt sich mittlerweile auf das langlebige Cäsium. Alle anderen Nuklide, die in bedeutenden Konzentrationen vorhanden waren, sind bereits zerfallen. „Die Cäsium-Strahlung wird auch in 150 bis 200 Jahren noch messbar sein“, sagt Laborleiter Herbert Lettner, „auch wenn es dann nur mehr etwa ein Prozent der ursprünglichen Menge sein wird.“ Cäsium hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. „Aber leider“, so Lettner, „ist die Halbwertszeit des Vergessens viel kürzer.“ Was der Professor damit meint? Das Bewusstsein um die Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung gehe nach Zwischenfällen und Katastrophen zu schnell verloren – und damit auch das Wissen um die Bedeutung des Labors und seines in Österreich einzigartigen Fachwissens. Tschernobyl 1986 war auch der Anlass für seine Gründung. Heute ist es bundesweit die einzige Einrichtung auf Universitätsebene, in der nicht nur gemessen, sondern auch geforscht wird.

„Almen-Phänomen“ gibt Forschern Rätsel auf

Zum Beispiel gibt ein bestimmtes Phänomen dem Labor-Team seit einigen Jahren ein Forschungsrätsel auf: Die effektiven Halbwertszeiten von Cäsium liegen in Almgebieten in den Hohen Tauern zwischen fünf und 20 Jahren. In intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten in Tallagen und im Flachland liegen sie bei nur ein bis zwei Jahren. Effektive Halbwertszeiten sind jene, die in der Kontamination der Milch beobachtet werden. „Trotzdem unbedenklich, alles unter den gesetzlichen Grenzwerten“, beruhigt Lettner. Die Frage nach dem Warum ist aber von großem wissenschaftlichem Interesse. Nicht alle Gründe sind bekannt. Die niedrigen pH-Werte im Boden, der hohe organische Anteil und der geringe Tonmineralgehalt sind jedenfalls einige der Ursachen.

Gletschersedimente „speichern“ Strahlung

Auf eine weitere Auffälligkeit ist man zufällig gestoßen, bei einer Gletschertour. Aus Neugierde nahmen Lettner und seine Kollegen einige Proben Kryokonite mit ins Labor. Ergebnis: In diesen Gletschersedimenten kommen die höchsten Konzentrationen an Radioaktivität unter allen Trägern in der Umwelt vor, „teilweise so hoch, dass man für die Handhabung mit diesem Material eine gesetzlich vorgeschriebene Strahlenschutzbewilligung benötigen würde“, ist Lettner nach wie vor erstaunt über die Erkenntnis.

Wichtiger Partner im Strahlenalarmplan

Herbert Lettner wird Ende 2021 in Pension gehen, rechtzeitig soll eine Nachfolge gefunden werden. Zu tun gäbe es genug: neben den regelmäßigen Messungen und Forschungsprojekten auch in Katastrophenfällen. „Das RMLS ist ein zentraler Partner im Strahlenalarmplan des Landes. Eine Weiterführung in Kooperation mit der Universität ist daher von großem Interesse“, bestätigt Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl.


Quelle: Land Salzburg



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