Abhängigkeitsverhältnisse als Risikofaktor von Gewalt

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Tirol

26 Nov 09:00 2019 von Redaktion Salzburg Print This Article

16 Tage gegen Gewalt an Frauen

„Frauen sind innerhalb ihrer eigenen vier Wände der größten Gefahr ausgesetzt, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden. Und genau dort findet Gewalt meist im Kontext ungleicher Machtverhältnisse statt“, stellt Frauenlandesrätin Gabriele Fischer anlässlich des Auftakts der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen klar, die heuer einen besonderen Fokus auf die verschiedensten Formen der Abhängigkeiten legen, welche das Risiko für Gewaltbeziehungen erhöhen. „Gerade was familiäre Gewalt oder Gewalt in Ehe bzw. Partnerschaft betrifft, so zeigen sich die Nähe und Abhängigkeit zwischen Opfer und Täter sowie das geschlechtsspezifische Machtgefälle besonders deutlich.“ Besonders gefährdet seien daher Frauen ohne existenzsicherndes Einkommen, Frauen mit Behinderungen oder ältere Frauen.

Die Zahlen und Fakten

„2019 haben sich bis dato 1.211 Opfer von häuslicher Gewalt an das Gewaltschutzzentrum Tirol gewandt“, berichtet Eva Pawlata, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol. Mitbetroffen als Opfer oder ZeugInnen von häuslicher Gewalt waren über 700 Kinder. „Der doch erhebliche Anstieg der Zahl an hilfesuchenden Menschen – im Jahr 2018 waren es insgesamt 1.187, die sich an uns gewandt haben – ist auch auf die vermehrte Sensibilisierung von Betroffenen zurückzuführen, wodurch sie sich eher an eine Opferschutzeinrichtung wenden“, erläutert Pawlata.

Gründe, sich keine Unterstützung zu holen und in einer Gewaltbeziehung zu verharren, gäbe es viele, weiß Pawlata aus der Praxis: „Angst vor noch mehr Gewalt ist einer davon. Immer wieder zeigt es sich, dass Frauen von ihren Partnern teils schwere Gewalt erleben, weil sie beabsichtigen, sich zu trennen“. „Gewalt bindet“, sei eine Aussage, die gut beschreibe, was Gewaltopfer erleben: „Sie fühlen sich in vielen Bereichen ihres Lebens abhängig. Sie sind es oft auch tatsächlich, weil sie abhängig gemacht worden sind. Psychische Gewalt – angefangen von Beleidigungen, Demütigungen bis hin zu gefährlichen Drohungen – schwächt die Opfer und macht sie emotional abhängig. Sprachbarrieren führen zu Ausgrenzungen und noch mehr Isolierung von betroffen Frauen“, zählt Pawlata die verschiedenen Formen von Abhängigkeiten auf. Daher sei es wichtig, ohne jegliche Vorurteile mit und über Menschen, die in irgendeiner Form von Gewalt betroffen sind, zu sprechen. Niemand wisse, welche Gründe die Person hat, bei einem Gewalttäter zu bleiben, betont Pawlata.

Besonders gefährdet: Frauen und Mädchen mit Behinderungen

Frauen und Mädchen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen erfahren signifikant häufiger Gewalt und Missbrauch als Frauen und Mädchen im Bevölkerungsdurchschnitt. „Frauen, aber auch Mädchen mit Behinderungen, benötigen im Alltag immer wieder Unterstützung, z.B. für die Köperpflege, für die persönliche Mobilität oder die Kommunikation. Je nachdem, wie ihnen ihr Umfeld diese Unterstützung gewährt, erleben sie mehr oder weniger Abhängigkeit“, erläutert Sozialwissenschaftlerin Petra Flieger. Zudem ist es für Beeinträchtigte oftmals eine Herausforderung, auf externe Unterstützung wie Beratungsstellen zurückzugreifen. Studien haben gezeigt, dass Gewalt an Frauen in Einrichtungen vorkommt.

„Besonders erfreulich ist aber, dass es in Tirol das erste Frauenhaus gibt, in dem eine Wohneinheit explizit auch für Frauen mit Assistenzbedarf eingerichtet ist“, streicht Flieger hervor. In dieser Opferschutzeinrichtung können erstmals aufgrund der Barrierefreiheit auch Menschen mit Behinderungen aufgenommen werden.

Stärkung des Selbstbewusstseins – von Mädchenalter an

„Mädchen sind minderjährig, wodurch sie vermehrt von Erwachsenen abhängig, beziehungsweise auf deren Unterstützung angewiesen sind“, erläutert Lisa Weilandt vom Mädchenzentrum ARANEA. Dies zeige sich zum Beispiel bei Gewalt im familiären Kontext, wo die Hemmschwelle, die Gewaltbeziehungen zu verlassen, noch höher ist, wenn dieser Schritt bedeutet, ebenfalls Mutter und Geschwister verlassen zu müssen.

Das dem nicht so sein muss, zeigen die Erfahrungen des ARANEA Mädchenzentrums in Innsbruck: „Mädchen, die von ihrem sozialen Umfeld ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein vermittelt bekommen und in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden, fällt es leichter, ihre persönlichen Grenzen zu erkennen, zu benennen und Grenzverletzungen sowie Gewalterfahrungen als solche zu thematisieren“, betont Weilandt. Mädchen hingegen, die schon von früher Kindheit an Abwertungen erfahren, deren Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein dadurch weniger ausgeprägt ist, falle dies wesentlich schwerer.

Aus diesen Erfahrungen heraus legt ARANEA den Fokus darauf, Mädchen einen geschlechtshomogenen Raum anzubieten, in dem sie sich mit ihren Themen austauschen, niederschwellig Beratung erhalten und an Gewaltpräventionsangeboten teilnehmen können. Vor allem aber einen Raum zu bieten, in dem Mädchen gestärkt und auf ihrem Weg zu selbstbewussten, selbstbestimmten und unabhängigen jungen Frauen begleitet werden.

„Das allein reicht jedoch nicht, denn Gewalt ist ein gesellschaftliches Phänomen, das uns alle angeht. Um Gewalt in jeglicher Form entgegenzuwirken, braucht es demnach eine umfangreiche gesamtgesellschaftliche Präventions- und Informationsarbeit die ebenfalls Männer und Burschen mit einbezieht“, stellt Weiland klar.

„Selbstermächtigung und Empowernment – für Mädchen und Frauen, ob mit oder ohne Behinderungen – ist der einzige Weg, Gewalt entweder schon im Vorfeld zu verhindern oder die Gewaltspirale zu stoppen“, ist Frauenlandesrätin Gabriele Fischer überzeugt. Dafür brauche es neben Beratungseinrichtungen auch viel Informations- und Sensibilisierungsarbeit. „Die 16 Tage gegen Gewalt sind ein Teil davon. Doch eigentlich sollten 365 Tage gegen Gewalt die Normalität sein“, so die Landesrätin abschließend.

Tipp: In einer Informationsbroschüre des Vereins bidok für Menschen mit Behinderungen zeigt auf, was man konkret gegen Gewalt tun kann und wo Hilfeleistungen tirol- bzw. österreichweit in Anspruch genommen werden können. Neben der Broschüre wurde auch ein Video zu dieser Thematik produziert, das wie auch die Broschüre in „leichter Sprache“ verfasst ist. Externer Link http://bidok.uibk.ac.at/projekte/bidok-gegen-gewalt/index.html


Quelle: Land Tirol



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