Denkmögliche Merkwürdigkeiten-Merkwürdige Denkmöglichkeiten

02 Jun 10:15 2014 von Oswald Schwarzl Print This Article

Es geht um Zahlen und um unser Gehirn

Unser menschliches Gehirn hat gewisse Analogien mit einem Supercomputer, der speichert und steuert, aber obendrein noch Gefühle vermittelt. Die 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die dem Neugeborenen zur Verfügung stehen, sind gewissermaßen die Hardware. Ihre Formierung spielt sich in den ersten Lebensjahren ab.
Das Sehen z. B. ist schon mit eineinhalb Jahren abgeschlossen, die Beherrschung der Bewegung, insbesondere die Feinmotorik, braucht einige Jahre mehr. Manche dieser „Verdrahtungen“ sind endgültig fixiert: Ein im ersten Lebensjahr blindes Kind hat bei späterer, physiologisch normaler Sehmöglichkeit kaum eine Chance, die dann neuen Eindrücke zu deuten, da sich sein Weltbild schon aus Tasteindrücken gefestigt hat. Bilder aus den ersten zwei bis drei Lebensjahren können noch kaum in einem Langzeitgedächtnis festgehalten werden. Erst mit ca. sechs Jahren ist das Gedächtnis zu 90 % ausgewachsen.

Das neuronale Netzwerk des Gehirns hat ein überaus kompliziertes Betriebssystem-REGIONEWS

Das neuronale Netzwerk des Gehirns hat ein überaus kompliziertes Betriebssystem mit unzähligen Rückkopplungen und Schleifen, Zwischenspeicher und Teilprozessoren, in dem, aus Signalen aus dem Körper oder von außen kommend, automatisierte  oder auch verstandesgefilterte und gefühlsgefärbte Steuerungen erfolgen.

Bei starker Beteiligung des limbischen Systems  (=Gefühlsgeneratoren im Gehirn) am Input neigt das System leicht dazu, - aufgeschaukelt durch undurchschaubare Rückkopplungen- chaotisch zu werden, womit der Aktionsoutput unvorhersehbar werden kann und bis zu Selbstvernichtung von Soft- und Hardware (Körper und Geist) gehen kann (= Suizid).


Gehirnstruktur als „Systemsoftware - REGIONEWS

Das menschliche Gehirn in seiner heutigen Form hat sich erst im Laufe der Evolution so entwickelt. Der aufrechte Gang, die dadurch frei werdenden Hände und die Sprache waren von maßgebenden Einfluss.

Pflanzen als ortsfeste Lebewesen brauchen  keine solche Steuerzentrale. Ein Reptiliengehirn begnügte sich zum Überleben mit der Steuerung der Körperfunktionen und dem Instinkt zu Nahrungssuche und Fortpflanzung. Unser Großhirn als Sitz des bewusstseinsfähigen Gedächtnisses ist wohl das Ergebnis der erhöhten Anforderungen durch Klimawandel an unsere mit den Affen gemeinsamen Urahnen gewesen. Diese Anpassungsnotwendigkeiten haben sich an die Auswanderer aus Afrika noch erhöht gestellt.

 

Um nun zum angekündigten Thema „Gehirn und Zahlen“ zu kommen: Primitive Stämme zählen auch heute nicht weiter als bis drei; was darüber ist, sind „viele“.

Das bedeutet wohl, dass die uns von der Natur mitgegebene Gehirnstruktur als „Systemsoftware“ für Rechnen ziemlich bescheiden sein dürfte, da es zum Überleben in natürlicher Umgebung genügte und die zusammengehörige Gruppe stets überschaubar blieb, bzw. sich durch Aussehen, Geruch und Lautgebung  „ausweisen“  konnte.

 

Die Fixierung  von Erinnerung erfolgt in erster Linie durch die Speicherung von Bildern, aber auch akustisch. Gerade bei Zahlen,  die ja an sich abstrakt sind und kaum Bilder hergeben, scheint der Sprachrhythmus eine große Rolle zu spielen. So haben Wissenschaftler der Grazer Universität  2008 bei neurologischen Versuchen festgestellt, dass bei guten Mathematikern eine spezielle Region des Großhirns – der Gyrus angularis, -  auch als Sprachregion bekannt, wesentlich aktiver ist als bei mathematisch weniger Begabten, durch Übung aber Verbesserungen erzielbar sind. Dass hier die Sprachregion aktiv wird, ist aber eine Überraschung, denn die praktische Erfahrung hat gezeigt, dass besonders sprachbegabte Schüler meist eine Schwäche in Mathematik haben. Es wäre zu vermuten, dass dieser Effekt bei den Mathe - Routiniers durch das häufige Abrufen von im Kopf gespeicherter Zwischenschritte, wie Formeln, Einmaleins etc., bewirkt wird, was ähnlich dem Abruf gespeicherter Vokabeln ist. Mehr als ein Hinweis, dass Sprache eine Voraussetzung für Mathe war, scheint mir dies aber nicht zu sein

Gedankenexperiment

Nun interessiert die Frage, wieweit die mathematische Grundausstattung unseres Gehirns eigentlich geht und inwieweit unser Großhirn Methoden erfunden hat, eine mangelnde Systemsoftware durch Zerlegung der Probleme zu umgehen.

Dies interessiert angesichts der neuen Erkenntnisse im Kleinsten (Quantenmechanik) wie im Größten (Astrophysik), bei denen wir mit den uns geläufigen drei Dimensionen der Newton´schen Physik auf Grenzen unseres Verständnisses stoßen.

 

Hiezu machen wir folgendes Gedankenexperiment:

a.) Linear: Wir stellen uns eine Gerade mit 10 gleichen     Untereinheiten vor. Wollen wir davon die Hälfte, ein      Viertel usw., so gibt es wohl keinerlei gedankliche Schwierigkeiten, damit umzugehen. Dies gilt auch für Summieren und Abziehen (Teilen). Der Fall scheint also problemlos.

 

b.) Zweite Dimension: Wir stellen uns ein Quadrat vor mit 10   mal 10 gleichen Einheiten. Wenn wir nun die Frage nach  der halb so großen Fläche stellen, wird es schon schwieriger. Ein Volksschüler, der schon Zuzählen und Wegzählen gelernt hat, wird  – nun nach der Seitenlänge gefragt – wahrscheinlich die Zehn halbieren. Das macht aber nur 25 statt 50 Fläche!

Den fehlenden Algorithmus muss unser Großhirn durch Zerlegung in lineare Teiloperationen ersetzen: Am Einfachsten wohl im Kopf durch probieren (Iteration), welche Zahl mit sich vervielfacht die gesuchte 50 ergibt. 7 mal 7 = 49, der Rest 1. Mit 7,1 kommt man dann dem exakten Wert von 7,o71 als Wurzel aus 50 recht nahe.

Schlussfolgerung: Unser Gehirn ist nur für lineare Verhältnisse vorprogrammiert.

 

c.) Dritte Dimension: Wir haben einen Würfel 10 x 10 x10.

(In Zentimetern wäre das der Rauminhalt eines Liters).

Frage: Welche Seitenlänge hat ein Würfel mit halben Rauminhalt? Bitte schätzen, ohne vorherige rechnerische Zerlegung!

Es geht eigentlich nicht! Wir haben dafür kein Gefühl (sprich: Struktur im Gehirn). Wenn Sie es trotzdem versuchen, liegen Sie wahrscheinlich zu tief, denn die dritte Wurzel aus 500 ist 7,94.

Fazit: Die dritte Dimension begreifen wir eigentlich noch mangelhafter, obwohl wir in einer dreidimensionalen Welt leben.


Vertrautheit mit Zahlengrößen hat noch grundlegende Formeln - REGIONEWS

Nun ist es nicht mehr überraschend, dass uns für die vier Dimensionen des Einstein´schen? Raum – Zeit –Kontinuums die Vorstellung fehlt, von mehrdimensionalen Weltentstehungstheorien ganz abgesehen. Auch in der Quantenphysik gibt es viele Effekt, die wir gelernt haben, rechnerisch vorherzusagen, für die aber eine bildliche Vorstellung nicht gelingt.

So wie das Gödel´sche Theorem besagt, dass es in der Mathematik mit den Mitteln des Systems nicht möglich ist, dessen Widerspruchsfreiheit zu beweisen, ist es bei den fehlenden Dimensionen unseres Gehirns nicht möglich, eine anders strukturierte Welt zu verstehen.

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Es gibt aber auch im täglichen Umgang viele Phänomene, die wir zwar im doppelten Sinne nicht „begreifen“, aber aus Gewohnheit als selbstverständlich hinnehmen. Oder wäre es nicht eigentlich verwunderlich, dass zum Beispiel ein fester Körper, etwa ein Stück Zucker, in einem Glas mit Wasser spurlos zu verschwinden scheint, dass ein magnetisches Eisen unsichtbare und un“begreifbare“ Kräfte ausstrahlt, mit denen es sich entgegen der Schwerkraft an einem anderen Metall festhalten kann oder dass aus der Steckdose unsichtbare und scheinbar masselose Energie kommt!

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Wie wird sich unser Gehirn in Zukunft weiter entwickeln?

Sicher ist nur, dass es sich verändern wird; ob in Richtung einer größeren Leistungsfähigkeit ist jedoch offen.

Vereinzelt bewunderte Zahlenkünstler beweisen zwar, dass im Prinzip die Möglichkeiten dazu vorhanden wären. Bei einer breiten, laufenden Beanspruchung unseres Gehirns in dieser Richtung wäre dann eine solche evolutionäre Entwicklung sehr wahrscheinlich.

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Dagegen spricht aber, dass wir in menschlicher Ungeduld eine solche natürliche Entwicklung nicht abwarten, sondern seit langem begonnen haben, diese Anforderungen an externe Apparate und Einrichtungen auszulagern. Damit entfällt der Druck auf die Evolution zur Gehirnanpassung und nur einzelne Menschen haben noch ein Spezialwissen.

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Stellen Sie sich nun vor, durch eine interstellare Katastrophe? würden? alle menschlichen Konstrukte und Aufzeichnungen verloren gehen und nur ein kleiner, besonders robuster Teil der Menschheit würde überleben. Ihnen bliebe nur? jenes Wissen, das sie aktuell im Kopf haben und mit ihren eigenen Händen realisieren könnten.

Es wäre ein sehr harter Rückschlag und primitiver? Neubeginn.

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Wird heute versäumt, im Kindesalter die grundlegenden Fähigkeiten zu üben, weil Automaten dies viel bequemer machen, wird auch der Nachwuchs für die erwähnten Spezialisten schließlich ausbleiben. Die Scheu vor Technik und Mathematik ist bereits deutlich zu sehen. Übung am zunächst Unbekannten würde aber Können und damit Freude schaffen.

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Es gibt dazu aber auch gegenteilige Ansichten, wie sie z. B. vom Ernst Mach-Forum? des Instituts für Kulturwissenschaften Wien vertreten werden: Eine totale Computerisierung wird jedenfalls stattfinden und wäre für die Menschheit vorteilhaft. Die Schule solle endlich dem Rechnung tragen und die Lernmethoden des 19. Jh. vergessen. Konkretes Wissen bräuchte nicht mehr reproduzierbar gelehrt werden, man müsse es nur zu finden wissen.

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Da wird wohl das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wie soll etwa jemand konstruktiv ein größeres Konzept bauen, wenn er jeweils erst die Elemente zusammensuchen muss, soweit ihm die Begriffe überhaupt noch geläufig sind. Kann man z. B. einen physikalischen Prozess berechenbar machen, wenn man weder durch Kopfrechnen Vertrautheit mit Zahlengrößen hat noch grundlegende Formeln abrufbar im Kopf hat?

Grundausstattung unseres Gehirns

Eine Überfülle an Informationen führt dazu, diese nach bald nicht mehr durchschaubaren Regeln bearbeiten zu lassen und dem Ergebnis blind zu vertrauen. Beispiel für Computergläubigkeit: Ein GPS-Gläubiger verliert selbst schnell jede Orientierung. Kürzlich machte ein Tourist auf  Anweisung in einem Tunnel kehrt. Ich erinnere mich auch daran, wie in den Fünfzigerjahren erstmals mit Computerhilfe das Operations Research von Mathematikern in die Industrie getragen wurde und ohne Mitarbeit von lokal erfahrenen Betriebswirten mit irgendwo erfragten Traumbüchelzahlen irreale Projektrenditen oder das Gegenteil errechnet wurden; dies aber auf mehrere Dezimalstellen genau. Wegen des undurchschaubaren und Prestige heischenden Rechenprozesses wurde Gläubigkeit erwartet.

 

Der Versuch, eine evolutionäre Kapazitätserweiterung des Gehirns dadurch zu erreichen, dass durch hartnäckiges Training mehrere Inputs gleichzeitig bearbeitet werden könnten, ist fehlgeschlagen. Vielmehr tritt durch Stress der gegenteilige Effekt ein und führt zum Zusammenbruch der Merkfähigkeit.

 

Alle angeführten Bedenken sind jedoch wohl eine relativ nutzlose Erkenntnis, weil unser von den affenähnlichen Vorfahren ererbtes Stammhirn im allgemeinen und bei Politikern im besonderen sich lieber gefühlsmäßig für den kurzfristig bequemsten Weg entscheidet und das Großhirn sich nur bemüht, dazu auch  noch eine logisch klingende Begründung zu erfinden.



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