12. Osteuropaforum in der Raiffeisenlandesbank OÖ

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21 Okt 23:29 2014 von Elfriede Leibetseder Print This Article

Osteuropaexperte Alexander Rahr: „Es gibt zwei Wahrheiten, aber wir brauchen dringend eine Lösung“

Linz. Es werde nicht einfach sein, die Krise im Zusammenhang mit der Ukraine und Russland zu lösen, weil sich die Konflikte über 20 Jahre kumuliert hätten. Und es werde eine Generation dauern, bis man wieder ein Verhältnis wie in den 1990er Jahren hergestellt habe, meinte Professor Alexander Rahr beim 12. Osteuropaforum der Raiffeisenlandesbank OÖ.


„Ich hoffe, dass es vor allem über die Wirtschaft und über gemeinsame Interessen zu einer Milderung der aktuellen Situation kommt“, so der Historiker und Osteuropaexperte bei seinem Vortrag und in der Diskussion mit RLB OÖ-Generaldirektor Dr. Heinrich Schaller sowie Mag. Heinz Pöttinger (Alois Pöttinger Maschinenfabrik Ges.m.b.H.) und Dipl.-Vw Marc Deimling, Geschäftsführer TMS Turnkey Manufacturing Solutions GmbH, vor rund 600 Gästen im RaiffeisenForum der RLB OÖ.


 


„Ich hoffe, dass wir zu einer Partnerschaft zurückkehren - und das ziemlich schnell“, betonte Rahr. Dies sei jedoch nur möglich, wenn beide Wahrheiten gesehen werden würden - „unsere Wahrheit und die Wahrheit, wie die Russen sie sehen.“ Der Osteuropakenner und Buchautor skizzierte eine Reihe von Gründen, warum die Welt derzeit vor Konflikten stehe, die vor einem halben Jahr noch als völlig undenkbar charakterisiert worden wären.


Die monopolare Welt, in der es mit den USA nur eine Supermacht gegeben habe, gehe zu Ende. Mit China oder Indien entstünden neue Pole, auch in Eurasien gibt es laut Rahr neue Kräfterelationen: „Wir sind im Begriff, vor unseren Augen eine neue multipolare Welt entwickelt zu sehen. Und sie wird bedauerlicherweise nicht so friedlich aufgebaut werden wie die Nachkriegsordnung nach dem Kalten Krieg, als die Berliner Mauer fiel.“


 


Man müsse sich der gesamten Konfliktlage bewusst werden, so Rahr. „Wir haben einen zivilisatorischen Konflikt, einen Wertestreit. Wir erklären den Russen Demokratie und die Russen sagen, wir haben eine andere Demokratie. Wir erklären den Russen Menschenrechte. Die Russen sagen, bei uns steht der Staat über den Menschen. Die Russen behaupten von uns, wir seien postmodern und dekadent und Russland entdecke sich neu als das andere Europa.“


 


Der Konflikt sei sehr schwer zu lösen, weil er vielfältig ist. „Man hätte die Ukraine weder vom Westen noch von der russischen Seite vor eine Entscheidung stellen dürfen“, zeigte sich der Osteuropaexperte überzeugt. Auch das Land selbst sei gespalten. „Die Ostbevölkerung der Ukraine will nicht Teil Russlands werden, will Russland als Handelspartner aber auch nicht verlieren. Auch in die NATO will man nicht. Im Westen der Ukraine wollen viele genau das Gegenteil. Sie haben Angst vor Russland, wollen in die NATO, wollen in die Europäische Union und wollen mit Russland, zu dem sie historisch nie richtig gehört haben, nichts zu tun haben. Das Land ist gespalten, aber wir brauchen eine Gesamtlösung für die ganze Ukraine.“ In diesem Zusammenhang stufte Rahr die Gefahr eines wirtschaftlichen und finanziellen Zerfalls der Ukraine als viel gefährlicher ein als das, was derzeit in der Ostukraine passiere.


 


„Wir brauchen eine dringende Lösung für die Ukraine, eine gesichtswahrende Lösung für alle. Das Problem ist, dass bis heute keine Seite zu Kompromissen bereit ist“, so Rahr. Russland fürchtet, dass die Ukraine doch früher oder später NATO-Mitglied wird und dagegen kämpft es an. Man möchte die Ukraine in die Eurasische Union holen. Weiters möchte man eine Föderalisierung der Ukraine, damit mit dem Osten der Ukraine weiter Handel betrieben werden kann. Die jetzige ukrainische Regierung wolle sich sicherheitspolitisch nach Westen orientieren, wirtschaftlich aber weiterhin von Russland profitieren. Die Europäische Union wolle Demokratie an ihrer Ostgrenze, Zukunftsmärkte und Energiesicherheit.


 


Durch die Sanktionen werde der russischen Wirtschaft großer Schaden zugefügt. Russland werde versuchen, die Inlandsproduktion zu steigern. Man dürfe in diesem Zusammenhang aber die Leidensfähigkeit der Russen nicht unterschätzen, warnte Rahr. „Wenn man sich in der Defensive und vom Westen ungerecht behandelt fühlt, dann scharrt man sich hinter der Führung und wird noch vieles andere aushalten.“ Rahr bezeichnete es als Trugschluss, Russland mit Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen. „Durch stärkere und länger andauernde Sanktionen würde sich Russland Richtung Asien orientieren. China, Vietnam oder Korea, aber auch der Iran und Pakistan würden Schlange stehen, um Produkte nach Russland liefern zu können. Eine Freihandelszone zwischen Lissabon und Wladiwostok muss ein strategisches Ziel bleiben. Das ist der einzige Weg aus der Krise“, betonte Rahr.


 


Durchaus optimistisch blickt Landmaschinenproduzent Mag. Heinz Pöttinger in die Zukunft: „Wir wollen unseren Weg in Osteuropa und auch speziell in der Ukraine und in Russland weiter fortsetzen und sind optimistisch, dass wir die Krise in Russland überstehen. Landtechnik ist zurzeit ja auch nur von Restriktionen und nicht von Sanktionen betroffen“.


Pöttinger appellierte auch für mehr Respekt gegenüber Russland: „Mit einem Land, das 18 Prozent der Weltfläche ausmacht, muss viel sensibler umgegangen werden“.


 


Der austrokanadische Autozulieferer und Anlagenbauer TMS Turnkey Manufacturing Solutions ist in Russland seit 2011 mit mittlerweile zwei Standorten vertreten. Zu seinen Kunden zählen Volkswagen, Skoda und General Motors, die ebenfalls in Russland produzieren. Seit Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts verzeichnete das Unternehmen am russischen Markt noch keine Geschäftseinbrüche, betonte Geschäftsführer Dipl.-Vw. Marc Deimling: der Konsum ist in Russland immer noch vorhanden“.


Die Russen identifizieren sich mit russischen bzw. in Russland gefertigten Autos. Aufgrund der Embargos aus der EU erhalten nun aber auch Mitbewerber aus Japan und Korea Auftrieb.


 


RLB OÖ-Generaldirektor Dr. Heinrich Schaller erachtet es nicht als sinnvoll, sich jetzt aufgrund der politischen Turbulenzen aus Osteuropa überhastet zurückzuziehen: „Osteuropa ist für unseren Wirtschaftsraum nach wie vor sehr wichtig. Es gibt Regionen in Russland, wo österreichische Unternehmen auch heute noch gute Geschäfte machen. Auch der Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe funktionieren in Russland immer noch. Wir müssen aber natürlich darauf hoffen, dass die Sanktionen nicht verschärft werden.“


www.rlbooe.at


Quelle: REGIONEWS Presse-Artikel



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Elfriede Leibetseder

Elfriede Leibetseder, Pressekonsulentin

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