Wer hat Angst vorm bösen Wolf?

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Foto: Wolf / Symbolbild
07 Aug 19:29 2017 von Redaktion Vorarlberg Print This Article

Meister Isegrim im Fakten-Check des WWF Österreich

Kein Kapitel in der Ausrottungsgeschichte des Tierreiches kann es mit der Brutalität der Verfolgung des Wolfs aufnehmen. In diesem Zusammenhang entstanden viele Geschichten, Legenden und Mythen. Vom Rotkäppchen bis zu den sieben Geißlein – sein Image ist böse und der Zuzug des Wolfes nach Österreich löst bei manchen Menschen Ängste oder sogar Aggressionen aus. Der WWF hat nie, und will keine Wölfe ansiedeln aber – wenn sie nun einmal zurück sind – dazu beitragen, dass Österreich endlich die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Mensch und Wolf möglichst konfliktfrei koexistieren können.

Punkt 1: Wölfe haben in unserer dicht besiedelten Landschaft keinen Platz
70 Wolfsrudeln – insgesamt etwa 400 Individuen – leben derzeit in Deutschland. Der Beutegreifer ist also zwischen Autobahnen, Sendemasten, Getreidesilos und Windparks auf seinen Platz im Ökosystem zurückgekehrt. Nach wissenschaftlichen Berechnungen von Wildbiologen die Faktoren wie Waldanteil, Landnutzung und Siedlungsdichte berücksichtigen, bietet Österreich eine Reihe potentieller Lebensräume für den Wolf. Die anpassungsfähigen Tiere brauchen keine menschenleere Wildnis sondern können problemlos auch in Kulturlandschaften, also in der Nähe des Menschen, leben. Wölfe brauchen lediglich genügend Beutetiere und Rückzugsräume. In Österreichs Landschaften mit ihrer großen Dichte an Schalenwird, finden sie beides.

Punkt 2: Sperren wir den Wolf doch in ein großes, artgerechtes Freiluftgehege
In Mitteleuropa sind Wolfsreviere zwischen 15.000 und 30.000 Hektar groß. Führt man sich diese Größe vor Augen, dann kommt es fast auf dasselbe hinaus, ob die Tiere im Freiland wie von einem unsichtbaren Zaun umgeben leben, oder ob man sie in ebenso großen, völlig unrealistischen Gehegen einsperrt. Gerade die Reviergröße ist ja der Grund, dass selbst in einem dichtbesiedelten Wolfsland die Anwesenheit von Wölfen oft nicht auffällt und Begegnungen mit ihnen ein seltenes Ereignis sind. Wölfe und ihre Rolle als Raubtier gehören ebenso zu unserer Landschaft und zu intakten Ökosystemen wie Flechten, Pilze oder Insekten - einfach weil sie da sind und lange vor uns da waren, und als Bausteine der Artenvielfalt ihrerseits entscheidende Wirkungen auf andere Arten und die gesamte Landschaft ausüben. Im intakten Beziehungsfüge der Natur ist es nicht möglich, eine Art zu „bevorzugen“, - etwa hübsch anzuschauende Singvögel -, und gleichzeitig eine andere Art, etwa Insekten, die uns bisweilen lästig fallen, „abzulehnen“. Ohne Insektennahrung können Vögel schließlich nicht überleben! Rehe, Hirsche, Gams und Steinbock sind deshalb so wie sie sind, nämlich schlank, elegant, schnell, wachsam und für den menschlichen Betrachter daher schön und faszinierend, weil sie seit zehntausenden Jahren durch die Anwesenheit von Wölfen geprägt und „mitgestaltet" worden sind.

Punkt 3: Kein Mensch braucht den Wolf in Österreich
Die „Existenzberechtigung“ des Wolfes ist eine Frage des Naturverständnisses. Wenn man den Menschen über alles stellt, dann „braucht“ man prinzipiell ja auch keine Rehe und Hirsche. Oder keine Elefanten oder Tiger in Ländern, die viel ärmer als Österreich sind und sich dennoch aus unserer Sicht mit diesen „edlen“ Wildtieren arrangieren sollen. Ökologisch betrachtet, bringt die Rückkehr des Wolfes viele positive Effekte auf das Wild und den Wald mit sich. So hält er Rehe, Hirsche oder Gämsen in Bewegung und somit „fit“ und reduziert die Ausbreitungswahrscheinlichkeit ansteckender Krankheiten: Als „Gesundheitspolizei“ beseitigt er kranke oder schwache Tiere effizienter, als es der geschickteste Jäger vermag. Gemeinsam mit einer vernünftigen Jagd können Wölfe helfen die überhöhten Schalenwildbestände zu senken, sodass sich Eichen, Tannen und viele weitere Waldbäume wieder natürlich verjüngen können.

Punkt 4: Wölfe sind blutrünstige Bestien, die plündernd umherstreifen
Wölfe sind soziale Wesen, die in Kleinfamilien leben. Meist bestehen sie aus dem Elternpaar, das oft ein Leben lang zusammenbleibt, sowie den Jungen des vergangenen und des aktuellen Jahres. In Mitteleuropa besteht ein Rudel im Durchschnitt aus vier bis sechs Tieren, abhängig vom Nahrungsangebot. Die erwachsenen Wölfe jagen zusammen und kümmern sich auch gemeinsam um die Aufzucht der Jungen. Charakterlich sind sie „Individualisten“, das heißt, ihr Verhalten und Temperament speisen sich aus von den Eltern übertragenen Traditionen (wie etwa die Skepsis vor Menschen, bedingt durch die jahrhundertelange Verfolgung) und den eigenen Lebenserfahrungen. Gemeinsam ist allen Wölfen, dass sie vorsichtig, neugierig und lernfähig sind.

Punkt 5: Wölfe ernähren sich hauptsächlich von Schafen
Ein Wolf benötigt je nach Größe drei bis fünf Kilogramm Fleisch pro Tag, eine Menge, die er aber nicht auf einmal zu sich nehmen muss, und die einem Hirsch pro Monat entspricht. 45 Wölfe benötigen demnach in etwa so viele Hirsche, wie im Straßenverkehr jährlich in Österreich umkommen. Im wildreichen Österreich ernähren sich Wölfe fast ausschließlich von Huftieren wie Rehen, Hirschen oder Wildschweinen. Der Wolf ist nicht auf ein Beutetier spezialisiert sondern erbeutet, was er am Einfachsten kriegen kann. Dazu können aber auch Schafe zählen, vor allem dann wenn sie nicht ausreichend geschützt sind. Ein guter Herdenschutz ist deshalb in Wolfsgebieten sinnvoll und notwendig. In Rumänien, wo der Wolf nie ganz verschwunden war und traditionelle Schutzsysteme wie Schutzhunde, Zäune und Hirten die Regel sind, erbeuten Wölfe etwa zwei Prozent des Bestandes an Nutztieren.

Punkt 6: Wölfe zeigen keine Scheu mehr vor den Menschen
Der Mensch gehört nicht ins Beuteschema des Wolfes. Die Erfahrungen aus unseren Nachbarländern zeigen, dass es bei wildlebenden Wölfen nicht zu Übergriffen auf den Menschen kommt. Der Wolf reagiert nicht extrem scheu, sondern eher neugierig, aber auch vorsichtig, auf den Menschen. Bei direkten Begegnungen flüchten viele Individuen nicht panisch, sondern ziehen sich gelassen zurück. In den 20 Jahren, die der Wolf wieder in Deutschland heimisch ist, hat es keinen einzigen Vorfall gegeben, in dem ein Mensch zu Schaden gekommen ist. Das Potenzial, gefährlich zu sein - etwa dann, wenn Wölfe von Menschen regelmäßig gefüttert werden und dadurch vermehrt deren Nähe suchen - hat der Wolf allerdings. Das sieht man bei unserem Haushund. Dennoch ist die Gefahr, von Hunden angegriffen zu werden, wesentlich größer und jährlich werden tausende Bissverletzungen registriert. Trotzdem ist der Hund ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und gesellschaftlich hoch akzeptiert.

Punkt 7: Wenn ein Wolf zu viele Schafe reißt, werden wir das „auf österreichisch“ regeln
Wer ohne Erlaubnis einen Wolf schießt, begeht eine Straftat die mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann. Der Wolf ist durch die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) im Bundesgesetz sowie in den Österreichischen Landesgesetzen besonders streng geschützt. Ausnahmen von diesen Schutzbestimmungen sind nur im Einzelfall und unter bestimmten Voraussetzungen möglich, etwa wenn sich ein Wolf gegenüber Menschen gefährlich verhält. Im Übrigen gibt es keine Nachweise, dass Viehherden durch gezielte Wolfabschüsse geschützt werden – im Gegenteil: Da durch das Herausschießen eines Wolfes die Rudelstruktur aus dem Gleichgewicht gebracht wird, würden die Anzahl der Risse in Folge sogar steigen, wie Untersuchungen aus den USA und Europa zeigen.

Punkt 8: Wölfe bringen Schafzüchter an den Rand des Ruins
Der Wolf ernährt sich größtenteils von Wildtieren. Hirsche, Rehe und Wildscheine stehen ganz oben auf seinem Speiseplan – speziell im mit Wild geradezu „überbevölkerten“ Österreich. Weidetiere machen nur ein Prozent der Wolfsdiät aus. Die Beweidung mit Schafen ist in Wolfsgebieten weiter möglich, allerdings müssen die Tiere, wie früher und in anderen Wolfsgebieten Europas auch, wieder besser geschützt werden. Gute Dienste leisten Schutzhunde, eventuell in Kombination mit Eseln, spezielle Elektrozäune und Behirtung. Dass der Wolf auch bei gutem Schutz ab und zu ein Nutztier reißen wird, lässt sich nicht verhindern. Aber auch durch Absturz, Gewitter oder Hunde sterben immer wieder Weidetiere.

Punkt 9: Herdenschutz funktioniert nicht, ist kompliziert und zu teuer
Der WWF tritt dafür ein, dass Nutztierhalter für bestätigte Wolfsrisse rasch und unbürokratisch - durch eine landwirtschaftliche Versicherung - entschädigt werden. Weil Vorbeugen aber immer besser funktioniert als im Nachhinein zu handeln, muss vor allem die Prävention verstärkt werden: Für den Herdenschutz braucht es eine staatliche Finanzierung und eine einheitliche Regelung; die Behörde darf die Nutztierhalter und Landwirte mit ihrer berechtigten Sorge nicht alleine lassen! Zwei und mehr Jahrzehnte Erfahrungen aus der Schweiz, Frankreich und Italien zeigen, dass Herdenschutz sehr wohl funktioniert. Seit die Weiden etwa im Gebiet um das Calanda-Wolfsrudel in Schweizerischen Graubünden vollständig geschützt sind, sind die Risse beinahe auf null zurückgegangen. Auch im Österreichischen Herdenschutz-Modellprojekt im Großglocknergebiet macht man mit einer Kombination aus Schutzhunden und menschlicher Behirtung gute Erfahrungen. Praktikable Lösungen liegen auf dem Tisch – sie müssen nur umgesetzt werden.

Punkt 10: Zwischen Mensch und Wolf herrscht doch seit jeher Zwietracht
Wolf und Mensch verbindet mehr, als man auf den ersten Blick glaubt. In prähistorischer Zeit konkurrierten beide um die gleiche Beute, waren aber dennoch keine Feinde. Später machte der Mensch den Wolf als Jagdhelfer sogar zum Gefährten. Der Haushund, der wölfische und menschliche Eigenschaften verbindet, entstand. Die Verfolgung des Wolfes begann erst vor 10.000 Jahren, als der Mensch sesshaft und zum Viehzüchter wurde. In der abergläubischen Zeit des Mittelalters brachte man den Wolf als Symbol der dunklen Mächte sogar mit dem Teufel in Verbindung. Andererseits haben verschiedenste Kulturen weltweit den Wolf auch stark verehrt. Davon zeugen beispielsweise Mythen wie jener von Romulus und Remus, den Stadtgründern von Rom, die als Kleinkinder ausgesetzt und von einer Wölfin aufgezogen wurden. Ein anderes Besipiel sind die deutschen Eigennamen Wolf, Wolfgang oder Wolfram.

Punkt 11: Der WWF hat Wölfe in Österreich ausgesetzt
Es hat zu keinem Zeitpunkt eine Auswilderung von Wölfen in Österreich gegeben. Die Wiederausbreitung des Wolfes erfolgte ausschließlich auf natürlichem Weg, u.a. in Folge strenger internationaler Schutzbestimmungen, und der Zunahme an Beutetieren. Österreich wird besiedelt, weil die Wolfsvorkommen in Osteuropa bzw. auf dem Balkan und in Italien so stark gewachsen sind, dass die Tiere nach Westen bzw. Norden gewandert sind. Zwischen 2009 und 2016 wurden in Österreich jedes Jahr zwei bis sieben Wölfe nachgewiesen. Da junge Wölfe, sobald sie geschlechtsreif sind, das Rudel verlassen müssen und sehr weit wandern können – etwa 70 Kilometer pro Tag –, werden oft unvermutet einzelne Wölfe weit entfernt des bekannten Rudels gesichtet. Um welche Wölfe es sich wo handelt, ist nicht Gegenstand von Spekulationen, sondern wird mittels Fotofallen und/oder DNA-Proben festgestellt.


Quelle: WWF



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Chefredakteur von Regionews Vorarlberg

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