Salzburger Dialektlandschaften auf einen Klick

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Foto: Andreas Kolarik
10 Feb 17:00 2017 von Redaktion Salzburg Print This Article

Höratlas von Hannes Scheutz dokumentiert Salzburgs Sprache / Forschungsprojekt von Salzburg 20.16 vorgestellt

Der Sprachwissenschafter Hannes Scheutz und Friedrich Urban, Geschäftsführer der Salzburg 20.16 GmbH, präsentierten heute, Freitag, 10. Februar, den neuen interaktiven Salzburger Sprachatlas, einen "Höratlas", der ein einzigartiges Erlebnis der Salzburger Sprachlandschaft bietet: Unter der Adresse www.sprachatlas.at/salzburg werden die Dialekte erstmals direkt erfahrbar.

Mehr als 30 unterschiedliche Ortsmundarten können auf einen Klick miteinander verglichen werden, mehr als 10.000 Sprachbeispiele dokumentieren die sprachlichen Eigenheiten der einzelnen Dialekte. Ein Vergleich zwischen Alt und Jung zeigt zudem, wie sich die regionale Sprache von Generation zu Generation ändert.

Dialekte als kollektives Gedächtnis einer Kulturlandschaft

Der Dialekt ist die "Sprache der Nähe", des Alltags, des engeren regionalen Umfeldes, des familiären und freundschaftlich-vertrauten Umgangs. Dialekte sind ein Wissensspeicher, in dem sich der Erfahrungsschatz vieler Generationen widerspiegelt. Sie sind das kollektive Gedächtnis einer Kulturlandschaft, bedeutsam für die Entwicklung regionaler und sozialer Identität. Die Salzburger Dialekte spiegeln auch noch 200 Jahre nach dem Zerfall des Erzstifts Salzburg die ursprünglich gewachsene Dialektlandschaft innerhalb dieses Territoriums wider und liegen damit quer zu den mittlerweile grundlegend veränderten politischen Grenzen.

In den Grundmundarten stellte die deutsch-österreichische Staatsgrenze bis zuletzt keine Sprachgrenze dar – im Gegensatz zu den neueren Sprachvarietäten der alltäglichen Umgangssprache, die dem starken Einfluss der Zentren München und Wien unterliegen und die politische Grenze zunehmend auch als Sprachgrenze etabliert haben. Dialekte verändern sich wie alle lebenden Sprachen: Die über lange Zeiträume hinweg bestehenden kleinregionalen Unterschiede und autochthonen Merkmale werden gegenwärtig abgebaut, verschwinden zusehends. Vielfach geht dieser sprachliche Erosionsprozess in rasantem Tempo vor sich. "Für eine Dokumentation ursprünglicher Dialektlandschaften ist es höchste Zeit, manchmal auch bereits fünf Minuten nach Zwölf", so Sprachwissenschafter Scheutz.

Friedrich Urban, Geschäftsführer von Salzburg 20.16, betonte, dass diese umfangreiche wissenschaftliche Dokumentation dank des Jubiläumsjahres finanziert und umgesetzt werden konnte – einerseits auf wissenschaftlich hohem Niveau und andererseits für den Laien spannend aufbereitet. "Es ist eines jener Projekte, die weit über das Jubiläumsjahr 2016 hinaus Bestand haben", so Urban.

Salzburger Dialektvielfalt für ein breites Publikum

Ziel des Projekts ist es, die gegenwärtigen Salzburger Dialektlandschaften zu dokumentieren, sie unmittelbar hören und vergleichen zu können und sprachwissenschaftlich Fundiertes über ihre unterschiedlichen Ausprägungen und ihre aktuellen Veränderungen zu erfahren. Es geht um eine populär angelegte und wissenschaftlich seriöse Vermittlung der Salzburger Dialektvielfalt für ein breites Publikum. Ähnlich aufgebaut wie der für die Arge Alp erstellte sprechende Dialektatlas "Deutsche Dialekte im Alpenraum" oder der zuletzt erschienene Höratlas der deutschen Dialekte in Südtirol, ist dieser Atlas auf einer Internetplattform allgemein zugänglich.

Durch seine Multimedialität eröffnet der "sprechende" Dialektatlas eine neue Qualitätskategorie im Zugang zu einer Sprachlandschaft: Auf einen Klick werden die unterschiedlichen Dialekte der gesamten Region erfahrbar, auch Laien können die essentiellen Eigenschaften der verschiedenen Salzburger Dialekte miteinander vergleichen.

Was ist der Dialekt eines Ortes? Wie können wir den Dialekt eines Ortes dokumentieren? Wer sind geeignete Gewährspersonen, um darüber Auskunft zu geben? Üblicherweise versteht man unter dem Dialekt eines Ortes den Basisdialekt, die Grundmundart, also die dialektalste Sprachschicht, die sich an einem Ort finden lässt. Als geeignete Informanten kommen dafür Personen der älteren Generation infrage, die im Ort geboren und aufgewachsen sind und von denen anzunehmen ist, dass sie in ihrem Alltag hauptsächlich ihren angestammten Dialekt verwenden. Da sich zudem alte Lautungen, Formen und Wörter meist besonders gut im traditionellen bäuerlichen Fachwortschatz halten, gelten Personen bäuerlicher Herkunft als klassische Gewährspersonen. Dies trifft auch auf die Auswahl von Informantinnen und Informanten für den Dialektvergleich zu. Für jeden Ort wurde ein prototypischer Sprecher ausgewählt. Die Informantinnen und Informanten stammen aus dem bäuerlichen Bereich und sind zwischen 70 und über 90 Jahre alt.

Dass die Sprache oder der Dialekt auch eines kleinen Ortes nichts vollkommen Einheitliches sein kann, wird häufig übersehen: Üblicherweise wird das Bild klarer Grenzlinien für einzelne Sprachmerkmale vermittelt. Die Sprachwirklichkeit sieht anders aus. Meist zeigen sich bereits bei einem einzelnen Sprecher oder einer einzelnen Sprecherin Schwankungen seiner Dialektformen während einer Befragung. Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn verschiedene Sprecherinnen und Sprecher für eine Ortsaufnahme herangezogen werden. Diese Unterschiedlichkeit ist nichts Ungewöhnliches, sondern der Normalfall. Sprache ist ständig im Wandel begriffen, und Sprachwandel setzt Sprachvariation voraus.

Eindruck von aktuellen sprachlichen Veränderungsprozessen

Einen Eindruck von aktuell vor sich gehenden sprachlichen Veränderungsprozessen gibt die Registerkarte Generationenvergleich: Zusätzlich zu den basisdialektalen Formen der älteren Generation sind hier die Formen von Sprecherinnen und Sprechern der jüngeren Generation (zirka 18 bis 30 Jahre) zu finden. Sie stammen zumeist nicht aus der bäuerlichen Schicht und sollten die Sprechweise eines jüngeren Durchschnitts-Einwohners des jeweiligen Ortes repräsentieren. Naturgemäß ist in dieser Gruppe die Streubreite der Variation am größten.

Fragebuch als Basis für Tonaufnahmen

Den Tonaufnahmen lag ein von Hannes Scheutz erstelltes Fragebuch zugrunde. Es enthält rund 500 Einzelfragen zu bestimmten Fragestellungen aus den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen (Lautebene, Wortformen, Satzbau) und zu einzelnen Sachgebieten des Alltagswortschatzes. Die Gewährspersonen sollten spontan jene Ausdrücke wiedergeben, die sie normalerweise verwenden (also zum Beispiel keine Erinnerungsformen aus dem Sprachgebrauch früherer Generationen).

Diese Fragen sehen etwa folgendermaßen aus: Wie sagt man im hiesigen Dialekt zur Biene? Wie lauten hier die Formen des Zeitwortes ziehen (ich ziehe, du ziehst, er zieht, zieh!, gezogen etc.)? Wie lautet der ortsübliche Gruß am Abend?

Weitgehend natürliche Aufnahmesituation

Im Unterschied zu traditionellen Dialekterhebungen, bei denen die Antworten der Gewährspersonen nicht akustisch aufgezeichnet, sondern in einer genauen Lautschrift sofort aufgeschrieben werden, wurde für den Salzburger Sprachatlas die gesamte Aufnahmesitzung jeweils mit einem qualitativ hochwertigen digitalen Aufnahmegerät festgehalten. Die Aufnahmen wurden nicht im Studio, sondern unter natürlichen Bedingungen zumeist in den privaten Wohnräumen der Gewährspersonen durchgeführt. Daraus ergeben sich manchmal akustische Mängel des Materials aufgrund von unvermeidbaren Nebengeräuschen, Hall-Effekten oder stark schwankenden Abständen der Sprechenden vom Mikrofon. Diese Mängel, die trotz einer zum Teil recht umfangreichen akustischen Bearbeitung manchmal noch zu hören sind, werden allerdings wettgemacht durch die möglichst große Spontaneität und Unmittelbarkeit der Antworten, die nur in einer solchen weitgehend natürlichen Aufnahmesituation möglich sind.

Die ausgewählten Beispielwörter und -sätze wurden anschließend aus dem gesamten Material elektronisch ausgeschnitten. Durch die häufige Einbettung der erfragten Wörter in eine längere Antwort der Gewährsperson war die Isolierung von Einzelwörtern nicht immer möglich: Immer dann, wenn ein Tonschnitt zu größeren Verzerrungen des Höreindrucks geführt hätte, wurde das Beispielwort in seiner ursprünglichen Satzeinbettung belassen. In wenigen Fällen konnte das gewünschte Wort nicht erfragt werden. Dies wird durch einen spezifischen Signalton angezeigt.

Viele spannende Einzelergebnisse

Aus den aufgenommenen Sprachbeispielen wurde etwa ein Drittel für den Höratlas ausgewählt. Maßgeblich war die Idee, alle abrufbaren Beispiele auf dem Bildschirm sichtbar und anklickbar zu machen. In insgesamt sieben Registerkarten finden sich je 48 Beispiele zur Lautebene, zum Wortschatz, zu den Wortformen und 18 Beispiele zum Satzbau. Mit diesen letzten beiden Bereichen wird dialektologisches Neuland betreten: Alle traditionellen Dialektdarstellungen gehen davon aus, dass sich kleinräumige Unterschiede nur im Lautlichen und im Wortschatz zeigen würden. Die Ebenen der Wortformen (Substantiv- und Verbflexion) und der Syntax wurden ignoriert. Besonders hier gibt es im Salzburger Raum viele spannende Einzelergebnisse.

Autochthone Formen verschwinden zunehmend

Salzburg liegt in einem Übergangsgebiet zwischen dem mittelbairisch geprägten Norden und dem südbairisch geprägten Süden. Entsprechend abwechslungsreich und vielfältig präsentieren sich auch die hiesigen Dialekte. Im Südosten (Lungau) und Südwesten (Oberpinzgau) finden wir noch Reste ganz alter Dialektformen, die vielfach frappierende Ähnlichkeiten mit den südlichsten inneralpinen bairischen Dialekten (zum Beispiel Südtirol) aufweisen.

Im Norden sehen wir eine großflächige Überformung der Altsalzburger Formen durch ostösterreichische (oberösterreichische, zum Teil Wiener) Einflüsse. Ebenso verschwinden zunehmend auch die autochthonen Formen in den jetzt bayerischen Gebieten des ehemaligen Erzstifts Salzburg.

Zum Autor

Hannes Scheutz, geboren 1953, studierte Germanistik, Sprachwissenschaft und Geographie an der Universität Salzburg. 1978 bis 1989 war er Akademischer Rat an der Universität München. Seit 1989 lehrt er germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg. Er veröffentlichte zu Sprachwandel, gesprochener Sprache und Dialekten, zuletzt als Spezialgebiet Entwicklung von "sprechenden" Dialektatlanten (Salzburger Grenzgebiet, Salzkammergut, Deutsche Dialekte im Alpenraum, Deutsche Dialekte in Südtirol). (rb/kg)


Quelle: Land Salzburg



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