Jazz and The City Salzburg: Ein Festival-Resümee

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Foto: Andreas Kolarik
06 Nov 11:00 2017 von Redaktion Vorarlberg Print This Article

Die Musik ist das Ziel - 300 MusikerInnen in 100 Bands bei 50 Konzerten - ein Marathon, den man nicht mitlaufen kann. Eher sollte man sich mitreißen und treiben lassen. Genau das taten die rund 30.000 BesucherInnen von Jazz

Im Eröffnungskonzert des Andromeda Mega Express Orchestras am Mittwochabend mit weiten Spannungsbögen und den vielen, grandios umgesetzten Einflüssen und Inspirationen, gab es nur eine einzige Enttäuschung, als das Publikum nicht auf Anhieb die Registernummer des Köchelverzeichnisses eines angespielten Mozart- Streichquartetts parat hatte. Aber dafür kann man sich an anderer Stelle auf die SalzburgerInnen verlassen, wenn es auf der Bühne tanzbare Rhythmen gibt, wie beim zweiten Eröffnungsact – Mokoomba – dann hält es nur noch vereinzelte auf den Stühlen, der Rest des großen Saales im republic schwingt die Hüften.Es hatte sich herumgesprochen, dass es neben diesem Grand Opening auch ein Kontrastprogramm im Afro Café gab.

Lieder der Sehnsucht
Das bunte Kleinod war dicht besetzt, selbst auf der Straße spitzten die BesucherInnen die Ohren, als Aline Frazao aus Angola ihre sehnsüchtigen Lieder zur Gitarre sang. Kurz darauf quirlte eine andere lusophonische, sprich: aus dem portugiesischen Einflusskreis stammende Band, den Markussaal um die Ecke auf. Schwer originell präsentierten sich die drei jungen Mädchen von Quartabé aus Brasilien in Schuluniformen an Schlagzeug und zwei Klarinetten, der einzige Mann im Bunde wippte hinter dem Keyboard. Es gab Schrägstes und Eingängiges in Sachen des brasilianischen Komponisten Moacir Santos, aber weil es so charmant und witzig serviert wurde, mochten es die Leute nach einem kurzen Verdutzungsschreck.

Der Donnerstag begeisterte nicht nur mit spätsommerlichen Temperaturen, auch musikalisch ging die Sonne auf. Im Künstlerhaus sorgte das Projekt "Out of the Box" für ungewöhnliche, höchst kreative Begegnungen zwischen MusikerInnen, ArchitektInnen und SchauspielerInnen. Ein Grundgedanke, der das Festival auch in den kommenden Tagen prägen sollte: die Offenheit, das Miteinander von unterschiedlichen musikalischen Konzepten. Das reichte von den spirituellen Sphären des afrikanischen Griot Ali Boulo Santo Cissoko und dem deutschen Trompeter Volker Goetze, von Sessions mit den Altmeistern der brasilianischen Musik Azymuth und ihren Bewunderern von Quartabé, von amerikanischen Jazzstudenten und ihrem "Prof" Billy Hart bis zu den israelischen Jazz-Energetikern von Shalosh und dem amerikanischen Singer-Songwriter-Charismat Jeff Taylor.
Letzteren verschlug es früh morgens in die Katakomben beim Petersfriedhof, um sich dort für seine nächste Produktion einzusingen. Auch bei seinem Soloprogramm in der Galerie Frey und bei dem sagenhaften Auftritt mit dem Großprojekt Stereography mit Musikern aus den USA und Österreich zog dieses Gesamtkunstwerk aus New Jersey das Publikum in seinen Bann. Umwerfende Bühnenpräsenz kündigte da Großes an. Er selbst schob es auf das Umfeld: "Diese Stadt ist magisch."

Jewish Music
A Novel of Anomaly um den Stimmzauberer Andreas Schaerer stellte im republic spielerisch die Hörgewohnheiten auf den Kopf. Hayden Chisholm war im Nachhall der Kollegienkirche mit der Shrutibox bestens aufgehoben, im Mozartkino hat er später zu Experimentalfilmen aus den Dreißigern wunderbar an deren traditionellen (Latin-)Welturaufführung eines Films, zu dem er die Musik komponiert und eingespielt hat.

Ebenfalls zum ersten Mal bewies sich an diesem Abend der kanadische Allrounder Socalled als DJ - mit alten Schallplatten voller "Jewish Music" von Freilach bis Mambo. Sein Soloprogramm mit Kurt-Weill-Liedern zum Klavier und jüdischen Songs begeisterte am Freitagabend im Toihaus Theater und tags darauf ganz intim bei Bücher Stierle. "Ich hatte ja keine Ahnung, wie schön diese Stadt ist", meinte er. "Und wie aufmerksam die Menschen selbst am Rande eines Einkaufssamstags zuhören.

"Am Abend kuratierte der norwegische Pianist und Labelmacher Bugge Wesseltoft die Konzerte im Markussaal. Vor allem der moderne, angenehm elektro-fricklige Soul von Rohey konnte die Besucher begeistern. Club-Musik auf höchstem Niveau brachte die Nacken zum Nicken und machte die Tanzgelenke geschmeidig.

Zusammenarbeit mit Berliner Festival
Eine neue Zusammenarbeit mit dem Berliner Festival xjazz wurde am Samstag mit Memento eröffnet, bei dem die Musik und das Trio des Festivalmachers Sebastian Studnitzky, selbst an Trompete und Flügel, auf ein Salzburger Streichquartett traf. "Es ist immer ein Wagnis, wenn man mit Musikern spielt, die man noch nicht kennt", meinte Studnitzky eingangs. "Aber in Salzburg sind Streicher ja eine sichere Bank." Das bewies sich eindringlich und emotional im anschließenden Konzert. Bevor der zweite xjazz-Act Komfortrauschen den Abend mit energischer, live gespielter Club-Musik beschloss, gab es einen testosteronberauschten Auftritt des Trios Hang Em High - improvisierte Musik wie für einen modernistischen Mortadella-Western oder, ganz anders und ebenso großartig, die stimmgewaltigen (Ma-)Donnen von Assurd im Großen Saal der Stiftung Mozarteum.

Zwei von ihnen kamen am Sonntagabend zur Zugabe mit "Bella Ciao" auf die Bühne, dem Folk-Musik-Projekt, das beim Finale im Landestheater mit Partisanen- und Arbeiterliedern Italiens aufwartete. Ein würdiger Abschluss, besonders im Doppelpack mit den famosen Strottern und der Jazzwerkstatt Wien, die zuvor die lachenden BesucherInnen mit den Akten-Nöten des kleinen Mannes bis zu einer Predigt auf die weiblichen Selbstverwirklichungsmöglichkeiten unterhielten.

Chelsea Hotel als Illusion und Freiraum
Ein unerwartetes Highlight beim bunten Treiben in der Altstadt aber war ein Ort den es eigentlich gar nicht gibt. Als Illusion und Freiraum gedacht, wurde ein leerstehendes Wohnhaus im Andräviertel zum New Yorker Chelsea Hotel und lud BesucherInnen wie KünstlerInnen zu illustren Begegnungen. Das für die zwei “letzten“ Tage aus der Taufe gehobene “Hotel” hat Geschichte(n) geschrieben - die beeindruckendste: die Fiktion hat die Realität ausgestochen! Zahlreichen BesucherInnen war die langzeitige Existenz des Hotels einleuchtender als dessen Unwahrscheinlichkeit, das oberflächliche Theaterdekor überzeugender als die ganz offensichtlich nicht hotelgemäße Raumstruktur. “Wir haben 15 Jahre lang schräg gegenüber gewohnt und nie bemerkt, dass hier ein Hotel ist ...“ (Eintrag aus dem Gästebuch).

Das Chelsea war zwanzig offizielle Tag- und etliche zusätzliche Nachtstunden in Betrieb und die Gäste kamen zahlreich: Insider aus der festivaleigenen Musikszene und übers Programm angezogenes Publikum und Neugierige. Es wurde gefeiert und gejammt, bis am Ende die SalzburgerInnen & weitgereiste Festivalgäste eingezogen und das Hotel mit eigenen Happenings bewohnt haben: konspirative Sitzungen im Office, Lesungen in der Lobby, Kostümatelier, DJ-Sessions mit Plattenausverkauf, Konzerte und Performances.

Fazit: Viele Highlights und große Momente
Ein von der Unternehmerschaft der Altstadt gegründetes und maßgeblich finanziertes Festival mit vielen Highlights und großen Momenten, ein Jazztraum im Herbst, wie man ihn so selten erlebt hat und wie er ohne die zahlreichen UnterstützerInnen nicht zustande gekommen wäre. Gleich beide privaten Salzburger Brauereien Stiegl und Trumer zählen zu den zuverlässigen Partnern und wenn das Autohaus Frey die Künstler mit dem Jaguar-Shuttle abholt, so ist doch deutlich zu erkennen, dass es hier um weit mehr als um reines Sponsoring geht.

Tina Heine, Intendantin: "Es war pure Freude zu sehen, wie der Charme der Salzburger Altstadt die KünstlerInnen inspiriert hat, mehr spielen zu wollen als ursprünglich geplant – man verbredete sich zu spontanen Konzerten, ob in den Gassen oder Durchhäusern, bei Sessions oder im Künstlerhaus. Und so hatten BesucherInnen wie MusikerInnen trotz aller spannenden Architektur und Räumen das gleiche im Kopf: die Musik ist das Ziel!“


Quelle: Altstadt Salzburg Marketing G.m.b.H.



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