Abgeschoben – Verloren - Zwei Mädchen aus Salzburg in den Irak

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Bild: Rose und Ranya in der kija zur Beratung mit Andrea Holz-Dahrenstaedt
Foto: Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg
09 Aug 13:15 2018 von Redaktion Salzburg Print This Article

Wie im offenen Brief der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs letzte Woche aufgezeigt, haben wir immer wieder mit Abschiebefällen junger Menschen zu tun, die dringend einer kinderrechtlichen Lösung bedürfen. Sie kommt jedenfalls für zwei Mädchen und ihre Familie, die gestern, Mittwoch, 08.08.2018 „außer Landes“ gebracht wurden, zu spät.

Rose (18 Jahre) und Ranya (15 Jahre), zwei bestens integrierte Mädchen lebten seit drei Jahren mit ihren Eltern und den jüngeren Geschwistern in Österreich, gebrachten hier prägende Jahre ihrer Entwicklung, sprechen perfekt Deutsch. Die gesamte Familie ist westlich orientiert, der knapp 2-jährige Bruder in Österreich geboren. Rose absolvierte bereits ein Jahr die Ausbildung zur Krankenpflegerin, Ranya hatte in einem der Top-Hotels in Salzburg eine Lehrstelle in Aussicht, d.h. sie ging als beste Bewerberin im Auswahlverfahren hervor. Doch weder wird Ranya eine Lehre in der Hotellerie machen können noch Rose Krankenpflegerin werden, denn beide Berufe sind im Irak für Frauen ungeeignet. In Österreich hingegen herrscht eklatanter Fachkräftemangel, sowohl in der Pflege als auch im Tourismus!

Rose und Ranya wollten gleichberechtigt leben, eine Ausbildung machen, ihr eigenes Geld verdienen, ihren Beruf frei wählen, sich kleiden und ausgehen wie ihr gleichaltriger Freundeskreis, mit dem Fahrrad fahren und schwimmen gehen, die Meinung frei sagen dürfen etc. Eigentlich zwei junge Frauen, die sich perfekt als „Role Models“ geeignet hätten, die als Art Kulturvermittlerinnen unserem Land beste Dienste erweisen hätten können.

Nichts davon können sie nun realisieren, die ganze Familie ist verzweifelt, die Kleineren weinten und verstanden nicht, warum sie von ihren Freunden und ihrem zu Hause wegmüssen. Zu allem Überdruss ist von ihren mühsam erarbeiteten und ersparten wenigen Euros so gut wie nichts übriggeblieben: Davon mussten sie beispielsweise die Übersetzungs- und Beglaubigungskosten für die österreichischen Schulzeugnisse bezahlen, die öffentlichen Verkehrsmittel für zahlreiche behördlichen Wege im Zusammenhang mit der „freiwilligen Rückführung“ sowie – im Gegensatz zu ihren MitschülerInnen - die monatliche Zug- und Busfahrt, um die Krankenpflegeschule besuchen zu können.

„Ich finde es so ungerecht, nirgends habe ich eine Chance. Wir sind am Ende.“

Sie hatten spürbar tiefe Trauer und große Angst, die Situation im Irak ist - wie auch der internationalen Presse zu entnehmen war - alles andere als stabil, ja eigentlich gefährlich. Schon seit Wochen war aufgrund von Internetsperre im Irak kein Kontakt zu Bekannten möglich, keine Bleibe zu organisieren, und ob sie die Schule weiter besuchen bzw. eine Ausbildung machen können, ist sehr fraglich, da sie zu viele Jahre „verloren“ haben und „zu alt“ sind.

Alle Bemühungen und juristischen Eingaben haben nichts genützt, das negative Asylverfahren für mitteleuropäisches Durchschnittsverständnis nicht nachvollziehbar. Sie sitzen - während ich schreibe - gerade im Flugzeug nach Bagdad – abgeschoben. Ganz abgesehen von mir, die ich beide Mädchen seit einigen Wochen kennenlernen und begleiten durfte, von ihnen menschlich beschenkt wurde, mit ihnen gekämpft und gebangt, aber auch gelacht und geweint habe, und es in meiner Seele weh tut, dass sie gehen müssen, haben alle verloren:

  • Rose und Ranya haben dadurch ihr Recht auf ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben als Frauen in Sicherheit und Frieden, ihren Glauben an Gerechtigkeit, ihre Hoffnung auf eine positive Zukunftsperspektive, ihr Recht auf Ausbildung, begraben und verloren.
  • Der ganze Ort, das gesamte soziale Umfeld, stand hinter der Familie und kämpfte für ihren Verbleib in Österreich. Ihre zahlreichen österreichischen Freunde und Freundinnen haben ihre besten Freunde verloren.
  • Und Österreich, hat „fehlinvestiert“, einen statthaften Betrag für eine Familie ausgegeben, die sich mehr oder weniger von Beginn an selbst erhalten hätte können, unsere Gesellschaft hat damit zukünftige SystemerhalterInnen und wertvolle Mitmenschen verloren.

Im sog. „Bosnienkrieg“ vor gut 25 Jahren hat man eine politische Bleiberechtslösung gefunden. In Deutschland gibt es die vielmals zitierte „3 2 Regelung“ für junge Menschen in Ausbildung. Für strafrechtlich Verurteilte gibt es die Möglichkeit einer Begnadigung durch den Bundespräsidenten, um rechtskräftig verhängte Strafen zu erlassen oder sonst wie abzuändern.

Für Fälle wie diesen gibt es: NICHTS.

Die Familie hat sich nicht nur nichts zu Schulden kommen lassen, sondern ist ein hervorragendes Beispiel für bestens gelungene Integration, ganz im Sinne des Regierungsübereinkommens!

„Gesetz ist Gesetz“, lautet der reflexartige Stehsatz. Stimmt, aber: „Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben das Recht auf besonderen Schutz und Beistand durch den Staat“, und „das Kindeswohl ist bei allen staatlichen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen“, das ist Völker- und Bundesverfassungsgesetz, wozu sich Österreich durch Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention vor knapp 30 Jahren verpflichtet hat. Die innerstaatlichen Gesetze sind nicht „wie Manna vom Himmel gefallen“. Es ist Aufgabe eines Rechtsstaats, durch gerechte und sinnvolle Gesetze einen Rahmen zu schaffen, der den arbeitsmarktpolitischen, volkswirtschaftlichen UND kinderrechtlichen-humanitären Grundsätzen entspricht! In Fällen wie Rose und Ranya gibt es nur Verlierer.


Quelle: Kinder- und Jugendanwaltschaft (kija) Salzburg



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