9. Tiroler Integrationsenquete zum Thema „Lohnt sich Integration“?

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v.li.: Hannes Gstir (Fachbereichsleiter Integration) Ines Bürgler (Vorständin Abt. Gesellschaft und Arbeit), Referent Peter G. Kirchschläger, Integrationslandesrätin Gabriele Fischer, Referentin Margit Kreuzhuber und Innsbrucks Integrationsstadträtin Elisabeth Mayr bei der 9. Tiroler Integrationsenquete.
Foto: Land Tirol/Reichkendler
20 Okt 12:00 2018 von Redaktion Vorarlberg Print This Article

ExpertInnen diskutierten Migration als Chance und Verantwortung für die Wirtschaft

Es sind einige der aktuellsten gesellschaftspolitischen Fragen: Braucht unsere Gesellschaft– und vor allem die Wirtschaft – Migration? Und wenn ja, wieviel? Verschärft sich der Wettbewerb um Arbeitsplätze oder werden neue geschaffen? Oder sollen nur FacharbeiterInnen ins Land kommen? Antworten auf diese und weitere Fragen standen gestern im Landhaus bei der Integrationsenquete zur Diskussion, bei der sich VertreterInnen aus Wirtschaft und Politik mit WissenschaftlerInnen austauschten.

Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Sozialsystem

Untersuchungen belegen, dass die Auswirkungen der Zuwanderung auf die heimischen Arbeitskräfte eher gering ausfallen. Maßgebliche Faktoren sind die Qualifikation der Zugewanderten und die Integration der Arbeitskräfte in die Gesellschaft. Eine österreichische Besonderheit ist, dass die Löhne von hoch qualifizierten Arbeitskräften bei Zuwanderung von niedrig qualifizierten Arbeitskräften steigen. Die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte geraten hingegen durch Zuwanderung von weiteren niedrig qualifizierten Arbeitskräften unter Druck. Von Verdrängungsprozessen sind in erster Linie Arbeitskräfte mit weiter zurückliegender Migrationsgeschichte betroffen.

Die Effekte von Migration auf die heimische Wirtschaft werden durchgängig mit wachstumssteigernd bewertet. Berechnungen zeigen, dass die Asylzuwanderung von 2016 bis 2020 zu einer Zunahme der Beschäftigung um 69.000 Personen gegenüber einem Szenario ohne Zuwanderung führt. Es kann von einem Wertschöpfungswachstum von 1 Prozent, aber auch von einer – vor allem aufgrund höherer Arbeitslosigkeit unter geflüchteten Menschen – höheren Arbeitslosigkeit von 0,6 Prozentpunkten ausgegangen werden.

Was den Einfluss der Zuwanderung auf den Sozialstaat betrifft, so zeigen Forschungen, dass Migration tendenziell einen Beitrag zur Entlastung des Wohlfahrtsstaates leistet und Menschen mit Migrationshintergrund mehr in die staatlichen Sozialtöpfe einzahlen, als sie aus diesen erhalten.

Integration ist das A und O

„Wenn integrative Maßnahmen greifen und eine aktive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik betrieben wird, kommt es für Österreich zu einer Win-Win-Situation: Wohlfahrt, Sozialsystem, Wirtschaftswachstum und Exporte profitieren von zugewanderten Arbeitskräften“, betont Integrationslandesrätin Gabriele Fischer. Je mehr an Bildung, Qualifikation und Arbeitsmarktintegration Zugewanderte erfahren, desto höher ist ihr Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.

„Der Titel ‚Lohnt sich Integration?‘ ist durchaus provokant. Tatsächlich ist der wirtschaftliche Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung gegenwärtig dominant – in der politischen Debatte und der öffentlichen Wahrnehmung. Wenn gegen die Abschiebung von jugendlichen Asylwerbern in Lehrausbildung der Bedarf von Wirtschaft und Arbeitsmarkt ins Treffen geführt wird, folgt auch diese vordergründig humanitäre Geste eigentlich der Logik einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Dabei sollten weder Politik noch Wirtschaft aus dem Blick verlieren, dass es zuerst und zuoberst gilt, gemeinsam für humanitäre Grundrechte einzutreten und die Voraussetzungen für Teilhabe am Gesellschafts- und Arbeitsleben zu sichern. Hinzu kommt, dass viele zusätzliche geringerqualifizierte, billige Arbeitskräfte nicht nur die Wirtschaft wachsen lassen, sondern auch die Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land. Das Motto einer sich für alle ‚lohnenden‘ Integration sollte daher sein: Gemeinsam für Verteilungsgerechtigkeit für alle sorgen“, ist Innsbrucks StRin Elisabeth Mayr überzeugt.

„Nur 30 Prozent aller hochqualifizierten mobilen Personen aus Drittstaaten entscheiden sich derzeit für einen Mitgliedstaat der EU. Hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zieht es eher in die USA, nach Kanada oder Australien. Es besteht dringender Aufholbedarf, was die Attraktivität Österreichs für internationale Talente anbelangt“, stellt Margit Kreuzhuber, Beauftragte für Migration und Integration in der Wirtschaftskammer Österreich, klar. „Rund ein Fünftel aller in Tirol unselbständig Beschäftigten sind Ausländer. Ohne die 68.816 ausländischen Beschäftigten wäre der Wohlstand Tirols nicht vorstellbar. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung des Landes“, erläutert Stefan Garbislander, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik und Strategie der WK Tirol.

Peter G. Kirchschläger, Ordinarius für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, beleuchtete die Forderung der Wirtschaft nach qualifizierter Zuwanderung aus ethischer Sicht: „Es stellt sich die Frage, wer von Migration profitiert und in welcher Form die Zuwanderung stattfinden soll. Auch muss hinterfragt werden ob und – falls ja – inwiefern Akteurinnen und Akteuren der Wirtschaft eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Verantwortung im Zusammenhang mit Migration zukommt“.

„Integration ist das A und O, wenn es darum geht, die positiven Impulse/Effekte von Migration auf die Wirtschaft zu nutzen. Diese muss daher schon bei Ankunft der geflüchteten Menschen beginnen. Um die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, sollte auch der entsprechende Zugang während des Asylverfahrens offen sein – ganz besonders für junge Menschen, die eine Lehre absolvieren möchten“, so Landesrätin Fischer abschließend. Dies würde auch dem Bedarf an Fachkräften in den Betrieben entgegenkommen.


Quelle: Land Tirol



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Chefredakteur von Regionews Vorarlberg

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